Flügel aus Asche
»dass eben nicht alles seine Schuld ist. Seine Lügen haben nur so lange überlebt, weil andere daran geglaubt und sie aufrechterhalten haben. So wie der Rat von Rashija.«
»Ich versteh nicht, was du meinst«, sagte Yoluan. »Der Herrscher hat mit allem angefangen. Wer seine Geschichten geglaubt hat, ist einfach nur dumm. Du und Talanna, ihr hättet seine Leiche da rausziehen und in Stücke reißen sollen.«
Adeen zog die Schultern hoch. Er mochte es nicht, wenn Yoluan so redete. »Jetzt, wo wir die Wahrheit kennen, hört sich natürlich alles einfach an. Aber als ich an der Akademie war, als Kind … ich habe oft genug selbst geglaubt, was mir die Magier gesagt haben: dass ich nichts wert bin. Und Talanna hat mir erzählt, dass auch sie das meiste, was man sie gelehrt hat, nicht in Frage gestellt hat, bevor sie Nemiz traf. Sie hielt sich als Draquerin für ein überlegenes Wesen.«
»Ich wollte nicht sagen, dass
du
dumm bist, Adeen«, lenkte Yoluan ein, »und Talanna natürlich auch nicht.«
Sie redeten aneinander vorbei. Aber er kam nicht mehr dazu, das Missverständnis zu beseitigen, denn sie hatten das Zelt der Königin erreicht.
Adeen hätte die Straßen von Rashija kaum wiedererkannt. Viele öffentliche Bauwerke brannten noch immer, und die Flammen griffen auf die Häuser und Hütten der Arbeiter und einfachen Leute über. An einigen Stellen schafften die Menschen Wasser herbei und bemühten sich, die Brände zu löschen, während sie anderswo frische Holzscheite, Papier, ja sogar Haushaltsgegenstände, alles, was brannte, in die Flammen warfen, um das Feuer noch anzufachen. Es war absurd. Überall auf den Straßen lagen verkrümmte Körper, blutig und mit aschegeschwärzter Kleidung. Manche trugen die kostbaren Gewänder der Oberschicht mit ihren intensiven Farben, andere einfache Kleidung oder nur Lumpen. Es war, als sei ein Kampf ausgebrochen, bei dem sich jeder gegen jeden wandte. Adeen, der mitten unter den Truppen der Königin durch die Stadt geleitet wurde, hatte eine Hand auf den Mund gepresst. Ihm war übel vom Gestank nach Rauch und verbranntem Fleisch und von dem, was er sah. Die Königin und ihre Verbündeten hatten verfügt, dass die Feuer gelöscht werden sollten, damit nicht noch mehr Rashijaner erstickten oder von den Flammen erfasst wurden. Aber sosehr sich die Soldaten abmühten und Wasser aus den wenigen Brunnen und Wasserspeichern herbeischleppten, Adeen bemerkte noch keinen Erfolg. Der Qualm erschwerte das Atmen. Waffenklirren, Befehle und Stimmengewirr verschmolzen mit dem Prasseln der Flammen zu einem beständigen Brausen.
Die Königin hatte Adeen angewiesen, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen. Als einer derjenigen, die die Leiche des Herrschers gesehen hatten, diente er als Bürge für die Ereignisse. Auch sein Kampf gegen Charral und die Tatsache, dass er der letzte überlebende Schreiber von Rashija war, hatten ihm eine Stimme verliehen.
Einer der Soldaten, ein Mann mit verbeultem Helm und rußbeflecktem Gesicht, trieb lachend mit seinem Spieß einen hellhäutigen Jungen vor sich her. Der Junge trug verschmorte Überreste einer Stoffrüstung, darunter eine einfache Robe, schmutzig und in Kniehöhe zerrissen. Offenbar war er schon mehrfach gefallen. Mit angstverzerrtem Gesicht stolperte er vor dem Soldaten her, und die Wintersonne ließ sein hellblondes Haar aufleuchten.
Adeen beobachtete das Geschehen zunächst gleichgültig. Bilder von Tod und Ungerechtigkeit hatten ihn abstumpfen lassen. Erst auf den zweiten Blick spürte er Empörung in sich aufsteigen.
»Lasst das Kind in Ruhe!« Er hörte seine eigene Stimme kaum. Mit den Ellbogen bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Die Soldaten versuchten, ihn zurückzuhalten, und er erinnerte sich vage an ihren Befehl, ihn unverletzt zum Verhandlungsort zu bringen. »Hört auf damit!« Erst als Adeen bis auf wenige Schritte heran war, wandte der Soldat den Kopf, und das Grinsen gefror ihm auf dem Gesicht.
»Wer bist du denn?«, fragte er unwillig. »Warum gibst du mir Befehle? Du bist doch nicht mein Kommandant!«
Was meine Berühmtheit betrifft, hat Yoluan offensichtlich stark übertrieben.
»Was hat Euch das Kind getan?«, frage Adeen.
»Dieses Kind?« Der Junge stand neben ihm, starr vor Angst und nicht in der Lage, fortzulaufen, auch jetzt nicht, da der Soldat seinen Spieß gesenkt hatte. »Siehst du nicht, dass er ein Magierkrieger ist? Hat vielleicht in der Schlacht Freunde von mir getötet.«
Die zerfetzte
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