Flügel aus Asche
sie zu sehr vermisste.
Zeichnen! Wann er wohl wieder Zeit dazu finden würde? Er fühlte sich so erschöpft, als seien seine Gedanken so schwarz wie sein Schlaf.
Schließlich verstummte Talanna. »Du hörst mir gar nicht zu, oder? Ach, Adeen. Es ist ja nur eine vorübergehende Trennung. Wir sehen uns wieder, wenn Rashija landet. Und dann wird die Stadt für immer auf dem Boden bleiben.«
»Du weißt nicht, wie lange es dauern wird.«
»Niemand weiß das.«
»Es könnten Jahre sein.«
»Wir müssen mit Fehlschlägen rechnen. Wenn sich Rashija erholen soll, dann wird es nicht von heute auf morgen gehen, und natürlich können wir jederzeit scheitern. Aber daran dürfen wir nicht denken.«
»Du klingst wie Leret.«
Talanna schwieg.
»Ich wollte, ich könnte dich begleiten.«
»Ich verstehe, dass du es nicht tust. Deine Macht wird hier gebraucht.«
»Und du … freust du dich darauf, deine Feuermagie zurückzuerhalten?«
Talanna hielt die Rechte vor sich und blickte nachdenklich auf ihre Finger. Das kalte Licht, das durch die Zweige fiel, zeigte deutlich das Netz alter Brandnarben in ihrer Handfläche. »Ja. Sie ist schließlich ein Teil von mir. Auch wenn ich einen anderen Teil von mir hier zurücklassen muss.«
Sie sagte es ebenso sachlich, wie sie über die Wachwechsel gesprochen hatte. Vor ihnen öffnete sich der Wald, und ein felsiger Abhang gab den Blick auf ein Tal frei. Noch waren die schwarzen Spuren der Feuer, die Soldaten hinterlassen hatten, als sie dort gelagert hatten, deutlich zu sehen. Auch sie waren überzogen mit einer dünnen, schimmernden Frostschicht.
Adeen legte den Arm um Talannas Schulter, und sie lehnte den Kopf an ihn.
In dieser Nacht waren seine Träume nicht dunkel. Der Frost umklammerte das Lager, kroch in die Zelte hinein, und nicht einmal die Feuer schienen noch Wärme zu spenden. Talanna tauchte unter seine Decke und teilte ihr eigenes Feuer mit ihm. Sie sprachen wenig, verabschiedeten sich ohne Worte voneinander, verabschiedeten sich in einem Wirbel von Farben hinter Adeens Augen.
An dem Morgen, als Rashija wieder in den Himmel aufsteigen sollte, wartete Adeen mit Schwärmer und Yoluan auf einem Hügel in der Nähe des Lagers, um das Schauspiel anzusehen. Die frühe Dämmerung zeichnete rosa-graue Spuren an den Himmel, der seine Dunkelheit ablegte und die Welt allmählich in ein feierliches, frostiges Silberlicht tauchte. Reif knirschte unter Adeens Stiefeln, und ringsum reckten die Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel. Es war ein sonderbarer, vollkommener Moment zwischen Tag und Nacht, aber Adeen konnte ihn nicht genießen. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baum und stützte schweigend den Kopf in die Hände. Schwärmer und Yoluan nahmen links und rechts von ihm Platz.
»Bevor Rashija aufsteigt, will Leret ein Signalfeuer im höchsten Turm der Akademie entzünden«, sagte Schwärmer, »dort hinten.« Er wies mit der Hand darauf. Noch war kein Feuer zu sehen.
»Wie lange dauert’s noch, was meint ihr?«, fragte Yoluan. »Mir ist jetzt schon kalt. Eigentlich weiß ich gar nicht, wann mir zum letzten Mal nicht kalt war.« Er hauchte sich in die Hände und rieb sie aneinander. »Wo Talanna jetzt wohl steckt?«
Adeen spürte, dass die Frage an ihn gerichtet war, aber hatte keine Lust zu antworten.
»Sei nicht traurig.« Yoluan klopfte ihm auf den Rücken. »Sie kommt wieder.«
Ja, in einigen Jahren. Hoffentlich.
Adeen zwang sich zu einem matten Lächeln. Seine Freunde meinten es gut, aber er wäre lieber allein gewesen.
»Es ist unglaublich, was wir geschafft haben«, sagte Schwärmer. »Als ich mich Keylas Leuten angeschlossen habe, hätte ich es nicht für möglich gehalten! All die Länder, auf die der Schatten der fliegenden Stadt gefallen ist … sie können wieder selbst über ihre Zukunft entscheiden.«
»Was hast du nun vor?«, fragte Adeen.
»Oh, ich werde tun, worauf ich Jahrzehnte meines Lebens gewartet habe.« Große Befriedigung lag in Schwärmers Stimme. »Als die Besatzer kamen, war ich noch jung. Erinnerst du dich, wie ich dir erzählt habe, dass ich ein Schüler der Mysterien war? Es gibt nicht mehr viele von denen, die damals eingeweiht wurden. Aber das alte Wissen darf nicht in Vergessenheit geraten.«
»Du solltest dir eigene Schüler suchen.« Die Vorstellung, wie Schwärmer in einem Kreis junger Leute hockte und sie alle mit seinen witzigen Geschichten und klugen Worten unterhielt, amüsierte Adeen. »Sie werden sich glücklich
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