Flügel aus Asche
folgten das Klirren von Waffen und ein Krachen, das den Boden erzittern ließ. Wieder Schreie. Adeen atmete tief durch, versuchte, sein hämmerndes Herz zu beruhigen. Wenn er sehen wollte, was hier vor sich ging, dann –
Er ging in die Hocke, schlang die Arme um den Körper und konzentrierte sich, die Augen zusammengepresst. Stumm rief er den Aschevogel. Und als hätte er die Berührung seines Geistes gespürt, war der Vogel da, hüllte ihn in sein Federkleid, das nach Zerstörung und feuchter Erde roch und riss ihn mit sich in den Himmel empor.
Wieder hallte der Schrei des Vogels in seinem Kopf, aber diesmal gelang es Adeen, die Kontrolle zu bewahren. Mit den Augen des Vogels blickte er sich um, während er über dem Wald schwebte. Der Blick des Aschevogels war schärfer als der eines Menschen, auch bei Dunkelheit. Dort unten zog eine Spur von Fackeln zwischen den Bäumen hindurch, gelbe Tupfen in Schwarz, die sich auf Rashija zubewegten. Und dann – noch während er hinschaute – flammte ein größeres Feuer auf. Mit bösartigem Zischen schwirrten brennende Pfeile heran und gruben sich in das Holz eines Wachturms, der zwischen Rashija und dem Lager errichtet worden war.
Adeen konnte zunächst nicht glauben, was er sah, aber dann begriff er: Wer auch immer dort unten war – es mussten viele Personen sein, sicher dreißig oder mehr –, attackierte die Soldaten der Königin, die dafür abgestellt worden waren, die Ordnung auf beiden Seiten aufrechtzuerhalten!
Es müssen Rashijaner sein. Die letzten Mitglieder des Rats, die entkommen sind, und ihre Handlanger. Sie wollen in ihre Stadt zurückkehren.
Der Vogel glitt tiefer, so dass seine Schwingen beinahe das Dach des Wachturms streiften. Schon breiteten sich Flammen an den Holzbalken und Planen aus. Die Soldaten gingen mit Schwertern auf die Angreifer los, und ihre Schreie vermischten sich mit dem Waffenlärm und dem Fauchen der Flammen zu einem furchteinflößenden Tumult. Der Turm bebte, und plötzlich klaffte ein Loch in seiner Seite. Erst jetzt erkannte Adeen die Umrisse des Katapults, das die Angreifer bei sich hatten. Eben beluden sie es erneut mit einem Felsbrocken, so groß wie der Kopf eines Kindes.
»Tötet sie!« Eine Stimme übertönte den Lärm. Sie kam Adeen bekannt vor. »Ich weiß, sie waren unsere Verbündeten, aber das ist vorbei. Jetzt wollen sie unsere Feinde schützen, also keine Gnade!«
Nun konnte Adeen auch die Gestalt ausmachen, zu der die Stimme gehörte: der struppige Wolfshelm, sogar die Trophäen an ihrem Gürtel. Er war fassungslos. Das waren keine Rashijaner. Was um alles in der Welt tat Keyla da und warum?
»Wenn Rashija endgültig fallen soll, müssen wir an diesen Soldaten vorbei!«, rief Keyla.
Er musste sie aufhalten. So viele Tote – und jetzt bekämpften sie sich auch noch gegenseitig. In einem rasenden Luftwirbel stürzte sich der Vogel hinab, mitten zwischen die Soldaten. Der Sturmwind fegte in die Menge hinein, trieb sie auseinander. Viele wurden von den Füßen gerissen, rollten über den Boden und verloren ihre Waffen. Andere stolperten und duckten sich, versuchten, ihre Gesichter vor dem eisigen Wind zu schützen. Adeen spürte das gefrorene Gras wieder unter den Sohlen: Der Vogel war fort. Er musste darum kämpfen, auf den Beinen zu bleiben. Wie jedes Mal, wenn er Magie angewendet hatte, drohte ihn seine Kraft zu verlassen. Halbblind, mit brennender Lunge stolperte er zwischen den Soldaten umher, die sich verwirrt wieder aufrichteten.
Der Boden vibrierte.
»Der Turm!« Der Schreck vertrieb Adeens Benommenheit. »Er stürzt ein, weg hier!«
Und auf einmal begannen alle, die sich eben noch gegenseitig totgeschlagen hatten, zu rennen und versuchten, sich hastig in Sicherheit zu bringen. Keinen Moment zu früh, denn mit ohrenbetäubendem Krachen brach das Holzgebäude in sich zusammen und ließ die Nacht dröhnen. Ein Balken, lang wie zwei Männer, zersplitterte nur wenige Schritte neben Adeen.
Neben sich im Dunkel sah er zwei Augen glänzen: Keyla.
»Du!« Sie fuhr auf ihn los, packte ihn, und ehe er wusste, wie ihm geschah, drückte sich eine eisige Linie aus Metall gegen seine Kehle. »Warum hältst du uns auf? Du weißt, dass die Himmelsgeborenen für ihre Verbrechen sterben müssen, alle zusammen!«
Adeen schnappte nach Luft. »Keyla, du …«
»Wir töten jeden, der sich uns in den Weg stellt!«
Der Druck an seinem Hals wurde stärker, und er fühlte einen scharfen Schmerz. Adeen ballte die Fäuste,
Weitere Kostenlose Bücher