Flügel aus Asche
sieben kleine. Oder waren es mehr als sieben? Adeen hätte schwören können, einige davon auf anderen Karten nicht gesehen zu haben.
»Talanna hat ihr Leben riskiert, um die Karte für uns aus der Akademie zu beschaffen«, sagte Nemiz.
Er beugte sich über das Pergament und wies auf eine der kleineren Nebeninseln. »Das ist Gabta. Auf allen offiziellen Karten ist sie nicht eingezeichnet. Sie ist ein Forschungszentrum und gehört zur Akademie.« Alle blickten ihn nun voller Spannung an.
»Und wie soll uns das helfen, aus der Stadt zu entkommen?«, fragte eine zögernde Stimme aus den letzten Reihen.
Nemiz’ Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen. »Wir werden diese Insel übernehmen und mit ihr in die Freiheit entkommen.«
Die Versammlung holte hörbar Atem. In den anderen Gesichtern erkannte Adeen seine eigene Verblüffung wieder.
»Wenn Rashija landet«, fuhr Nemiz nach einer kurzen Pause fort, »werden einige Magier diese Insel von den übrigen trennen und damit in der Nähe von bewohntem Gebiet aufsetzen.« Nun, da es darum ging, Rashija hinter sich zu lassen, lag in seinen Augen eine beängstigende Wildheit. »Talanna ist schon auf Gabta gewesen und kann es bestätigen. Die Steuerung von Gabta befindet sich im Zentrum der Insel in einem Turm aus Siltkristall. Dort halten sich Magier auf. Es sind Wissenschaftler, keine Kämpfer, aber wir dürfen sie auf keinen Fall unterschätzen. Wir brauchen Magie, die ihrer möglichst ebenbürtig ist. Talanna wird auf unserer Seite kämpfen; das ist eine unschätzbare Hilfe. Aber es genügt nicht. Da außer ihr niemandem von uns solche Kräfte zur Verfügung stehen, brauchen wir Schriftrollen, Dutzende. Seht ihr meinen Freund Adeen hier? Er ist ein Schreiber der Akademie. Er hat die Fähigkeiten, die man benötigt, um magische Schriftrollen herzustellen. Adeen, wir setzen große Hoffnung in dich. Du hast mir mit deiner Tapferkeit das Leben gerettet, jetzt kannst du uns alle retten.«
Adeens Magen zog sich zusammen, als sich alle Augen plötzlich auf ihn richteten. Das überraschte Murmeln der Versammlung klang nicht allzu freundlich. Nemiz’ Auftrag überrumpelte ihn völlig.
Er braucht mich also, damit ich für ihn arbeite – hat Nemiz deshalb nicht lockergelassen, bis er mich überredet hatte, an dem Überfall teilzunehmen?
Doch er schluckte seine Zweifel hinunter. Ihm blieb ohnehin keine Wahl. »Ich gebe mein Bestes«, sagte er. »Aber ich brauche spezielles Papier und Tinte, damit die Zauber wirken, und auch dann …«
Auch dann bin ich nicht sicher, ob es die Schriftrollen, egal wie viele es sind, wirklich mit der angeborenen Macht von Magiern aufnehmen können.
Adeen sprach es nicht aus. In den flüsternden Stimmen, die um ihn schwirrten, hörte er immer wieder das Wort Krähe, Krähe, man kann keiner Krähe trauen.
»Wir werden dir alles Material beschaffen, das du benötigst«, versicherte Nemiz. »Mit deiner und Talannas Hilfe werden wir den Akademiemagiern Feuer unter den Hintern machen! Was die anderen betrifft, ihr bleibt an euren Plätzen und wartet auf weitere Anweisungen. Wir sehen uns bald wieder.«
Nur langsam zerstreute sich die Versammlung. Fast jeder schien noch Fragen an Nemiz zu haben, die Menschen drängten sich um ihn. Auch in Adeens Kopf kreisten die Gedanken. Er hatte das Gefühl, er stürze seit seiner ersten Begegnung mit Nemiz einen endlosen Schacht hinab, und nichts vermochte seinen Fall aufzuhalten – aber wohin das führte, würde er nicht wissen, ehe er aufschlug.
Talanna raffte ihren Umhang, stieg über die Matten hinweg und schritt zum Ausgang. Die Art, wie sie sich bewegte, faszinierte Adeen – mit so viel Präzision, als kenne sie keine überflüssige Bewegung, und dazu diese beißend roten Haare … wieso starrte er sie überhaupt schon wieder an?
Eine Hand berührte seine Schulter. »Mach dir nichts draus, dass sie dich eben nicht mit offenen Armen empfangen haben«, sagte Großmutter. »Wer klug ist, weiß, dass du dir nicht ausgesucht hast, was du bist. Der Herrscher hat seine uneingeschränkte Regentschaft auf Magie gegründet, daher trauen Nemiz’ Leute keinem Magier, nicht einmal einer Krähe. Aber sie sind jetzt auf deine Fähigkeiten angewiesen. Vielleicht hast du hier schon bald Freunde.«
Adeen nickte.
»Aber nun komm, du solltest dich wieder hinlegen. Sicher bist du müde.«
»Es geht schon.« Müde war er in der Tat, auch wenn er nach all der Aufregung nur schwer Schlaf finden würde. Als er
Weitere Kostenlose Bücher