Flügel aus Asche
Großmutter, jetzt Nemiz und andere, deren Namen er nicht einmal kannte.
»Lass uns Talanna finden.«
Brandgeruch leitete sie. Als sie die Schneise im Wald erreichten, wurde es bereits wieder dunkel. Wie eine schwarze Mauer umgaben sie die Bäume jetzt, die fremde Welt hatte ihre Farben wieder verloren.
Fassungslos tastete Adeen über die gespaltenen Baumstämme. Das gesplitterte Holz schimmerte hellgrau in der Dämmerung. Nicht nur ein paar der mächtigen Bäume hatte es niedergemäht, sondern Hunderte. Es schien unmöglich, sich vorzustellen, welche Gewalt nötig gewesen sein musste, um eine solche Verwüstung anzurichten. Am Ende der Schneise steckte ein Felssplitter im Boden, der sicher dreimal so groß war wie die Akademie. Seine scharfe Kante hatte sich tief in die Erde gebohrt. Die Flammen, die Adeen bei seinem Blick vom Hügel bemerkt hatte, waren inzwischen verloschen oder glommen nur noch als Schwelbrände im feuchten Laub. Es roch würzig und bitter, nach geschmolzenem Metall und verbrannten Blättern, so intensiv, dass es ihm fast den Atem nahm.
Er raffte die Robe um sich und kämpfte sich durch die Kronen der umgestürzten Bäume, ein Dickicht aus Blättern, Ästen und Holzsplittern. Doch nach nur wenigen Schritten spürte er, wie ihn eine Hand von hinten festhielt.
»Ohne ein Baummesser wirst du nicht weit kommen«, sagte Yoluan. »Und schau dich um: Glaubst du, das hier hat einer überlebt?«
Adeen ließ sich gegen einen der Baumstämme sinken. Bereits jetzt war er außer Atem, die Zweige hatten ihm Gesicht und Hände zerkratzt. »Ich gehe nicht, bevor ich Talanna gefunden habe.«
»Und wenn du sie nicht findest?«
Adeen schwieg und wischte sich über die Stirn. Seine Gedanken und Gefühle ballten sich zu einer stachligen Masse zusammen.
»Lass uns morgen weiter nach ihr suchen, wenn es wieder hell ist«, sagte Yoluan. »Ich hab vorhin Wasser plätschern gehört. Vielleicht ein Bach oder wie man dazu hier unten sagt. Bist du nicht durstig?«
»Nein. Geh zu deinem Bach, ich suche so lange weiter.«
»Aber du bist verletzt. Deine Schulter …«
»Der geht es viel besser. Nicht dass ich es verstehen –«
Plötzlich schlug etwas mit einem Knall direkt neben seinem Kopf in einen Baumstamm ein. Adeen schnellte herum: Dort zitterte ein Pfeilschaft. Bis zur Hälfte seiner metallenen Spitze hatte er sich in das Holz gegraben.
»Rührt euch nicht«, rief eine Frauenstimme, »oder jeder von euch hat einen Pfeil in der Kehle. Hebt die Hände über den Kopf, los!«
Mit hämmerndem Herzen hob Adeen die Hände. Yoluan folgte seinem Beispiel.
»Gut. Du da, Bär, lass die Waffe fallen. Und jetzt kommt aus diesem Gestrüpp heraus. Schön langsam.«
»Was meint die mit Bär?«, flüsterte Yoluan.
Kaum hatten sie das Gewirr der Baumkronen verlassen, huschten rings um sie Gestalten aus dem Dunkel, fünf, oder waren es mehr? Die meisten von ihnen trugen Stoffgewänder, nur hier und da glänzte ein Rüstungsstück aus Metall. Eine Frau trat auf Adeen und Yoluan zu. An ihrer Seite entzündete ein junger Bursche, fast noch ein Kind, eine Fackel, und rotes Licht ergoss sich über sie. Der Anblick eines struppigen, halb menschlichen Wesens ließ Adeen im ersten Moment vor Schreck erstarren – doch dann sah er, dass das, was er für Pelz gehalten hatte, nur ein Umhang aus Tierfell war. Mit ihrer Kapuze, die aus dem Kopf des Tiers gearbeitet war, sah die Frau aus, als hätte sie einen Raubtierkopf mit spitzen Ohren. Sie hielt einen gespannten Bogen auf Yoluan gerichtet.
»Wer seid ihr, und woher kommt ihr?«, fragte sie herrisch.
Yoluan warf Adeen nur einen hilfesuchenden Blick zu, und auf einmal begriff Adeen: Er würde für sie beide reden müssen.
»Wir kommen aus Rashija«, sagte er vorsichtig.
Sofort wurde ihm klar, dass das die falschen Worte gewesen waren. Ein fast unmerklicher Ruck lief durch die Gruppe, Bogensehnen knarrten, und Klingen blitzten im Halbdunkel auf. Die Feindseligkeit war nun beinahe körperlich spürbar.
»Wir konnten fliehen«, fügte er hastig hinzu. »Es ist eine lange Geschichte. Jetzt müssen wir eine Freundin finden. Habt Ihr vielleicht …«
»Niemand entkommt aus der fliegenden Stadt.« In der Stimme der Frau mischten sich Kälte und ein sonderbarer Respekt, der wohl Rashija galt. In einem solchen Ton sprach man von einem langjährigen Todfeind. »Erzählt uns die Wahrheit! Seid ihr Spione? Ein Stoßtrupp, der das Gebiet für die Armeen des Herrschers auskundschaften
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