Flügel aus Asche
soll?«
»Ich war Schreiber an der Akademie.« Adeen überlegte fieberhaft, wie er seine Worte beweisen konnte. »Glaubt mir, das ist kein Ort, an den ich zurückwill.«
»Ich hab mich um die Skadas der hohen Herren gekümmert«, fügte Yoluan hinzu. »Wir haben unseren Anführer verloren, Nemiz … er würde Euch schon alles erklären. Wenn er nur könnte. Aber er liegt hier zwischen den Bäumen begraben.«
»Wir haben gesehen, wie die Insel in Stücke gerissen wurde und heruntergestürzt ist.« Die Frau musterte Adeen voller Abneigung. »Habt ihr irgendetwas damit zu tun?«
Adeen zog die Schultern hoch. »Das ist eine lange Geschichte. Ich kann sie erzählen, wenn Ihr wollt, aber dazu bleibt keine Zeit! Bitte, meine Freundin muss hier irgendwo sein. Ich bin überzeugt, dass sie noch am Leben ist, und wenn nicht … sie hat rotes Haar … nein, das haben sie ihr abgeschnitten. Aber an der violetten Haut müsst Ihr sie erkennen. Habt Ihr sie gesehen?«
Ehe die Anführerin etwas erwidern konnte, trat eine gebeugte Gestalt an ihre Seite und flüsterte ihr etwas zu. Der alte Mann war in ein weites Tuchgewand gehüllt und hatte den Bart zu einem Zopf geflochten, der ihm bis auf die Brust herabhing.
»Schwärmer meint, du sollst diese Lumpen ausziehen und uns zeigen, wie du darunter aussiehst«, sagte die Frau.
Mit finsterer Miene trat Yoluan einen Schritt vor, als wolle er ihn beschützen, doch Adeen hielt ihn mit einer Geste zurück. Er war so oft gedemütigt worden, dass es auf dieses eine Mal auch nicht mehr ankam. Fröstelnd streifte er die zerrissene Robe ab und rieb sich die Arme. Er war sich bewusst, wie erbärmlich er aussehen musste, groß und dürr, wie er war, schwarz wie der Nachtwald, teils mit getrocknetem Blut bedeckt und voller winziger Narben von den unzähligen Verletzungen aus all den Jahren. Die Frau mit der Fellkapuze ging langsam um ihn herum und musterte ihn mit gerümpfter Nase, während der Junge ihr mit der Fackel leuchtete. Sie war gut zwei Köpfe kleiner als er, doch Adeen fühlte sich so unbehaglich, als würde er von einem gefährlichen Tier beschnuppert.
»Du hast recht«, befand sie schließlich. »Das ist keiner von den Himmelsgeborenen. Es sei denn, sie baden neuerdings in Sumpflöchern.« Sie setzte Adeen den Zeigefinger auf die Brust wie eine Klinge. »Aber das heißt nicht, dass ich dir und deinem Freund traue. Zieh dich an, dann kommt mit. Und keine falsche Bewegung.«
Adeen bückte sich nach seiner Robe. »Wir können Euch nicht begleiten. Ich habe Euch doch gesagt, wir müssen …«
Er konnte seinen Satz nicht beenden. Die Frau schnellte herum, ihre geballte Faust schoss auf Adeen zu. Sie würde ihn ins Gesicht treffen, das wusste er im Bruchteil eines Augenblicks, und er
wollte
es nicht. Er hatte genug davon, dass man ihn schlug. Er würde es nicht zulassen.
Etwas
würde es nicht zulassen.
Die Frau stolperte zurück und warf mit einem Schreckensschrei beide Arme vors Gesicht. Um ihren Kopf tanzte es wie geschwärzte Papierfetzen in einem Windwirbel, und ebenso rasch, wie es erschienen war, verschwand es wieder, löste sich auf in einer Handvoll feiner Asche. Als die Frau ihre Hände sinken ließ, zogen sich Kratzer über ihre Wange und die Stirn.
»Er ist ein Magier!«, rief sie und wies auf Adeen. »Fesselt ihn mit Eisen!«
»Ich bin kein Magier!« Adeen wusste nicht, was eben geschehen war, doch er konnte nicht fassen, dass sie ausgerechnet ihn, eine Krähe, für magiekundig hielt. »Das ist lächerlich!«
»Ihr rührt ihn nicht an, oder Ihr kriegt es mit mir zu tun!« Yoluans massiger Körper drängte sich vor Adeen. Doch plötzlich hatte sich der Ring aus Klingen und Pfeilen um sie bis auf wenige Schritt zusammengezogen. Sie würden sterben, wenn sie ernsthaft versuchten, gegen diese Leute zu kämpfen.
»Ganz ruhig«, murmelte er. Sosehr er sich auch um Talanna sorgte und nach ihr suchen wollte – er hatte begriffen, dass sie tun mussten, was diese Leute verlangten, oder sie würden nirgendwo mehr hingehen.
»Streck deine Hände aus!«, verlangte die Frau. Adeen tat es. Einer der Männer kam mit einer Kette aus dünnen Eisengliedern herbei und wickelte sie um sein Handgelenk.
»Fesselt sie und verbindet ihnen die Augen«, bestimmte die Anführerin. »Los!«
Man stieß sie durch Laub, durch Gestrüpp, über Fels und einmal sogar durch fließendes Wasser, das Adeen vor Kälte schaudern ließ. Er fürchtete sich vor dem, was sie erwarten würde, wenn sie ihr
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