Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
Vom Netzwerk:
Brust und Rücken brannten so heftig, dass er kaum durchatmen konnte.
Nein, ich bin nicht tot, es sei denn, dass ich auch im Jenseits noch einen lädierten Körper mit mir herumschleppe. Aber wo bin ich?
    Er wusste es in dem Moment, in dem er sich daran erinnerte, wo er solche Farben schon einmal gesehen hatte – auf dem Bild, das er mit Nemiz und den Rebellen aus der Lagerhalle gestohlen hatte, kurz bevor Rasmi getötet worden war.
    Dies ist ein Wald. Ich bin auf dem Boden. Ich habe es geschafft.
    Doch was war geschehen? Er hatte aus Rashija fliehen wollen, das wusste er noch deutlich. Er war bei Regen und Kälte über die Felder vor der Stadt geirrt, hatte einen Turm wie einen Eiskristall gesehen, farbiges Licht … er hatte gekämpft, war verletzt worden … und dann war er offensichtlich gefallen, zur Erde gefallen. Noch sah er vor sich, wie er die Hand nach dem Schwebezauber ausstreckte, doch er bekam ihn nicht zu fassen. Wie war es möglich, dass er lebte? Und nicht nur das: Nach den letzten Tagen hätte er eigentlich vollkommen erschöpft sein müssen, doch abgesehen von den Schmerzen fühlte er sich ausgeruht, als wäre er eben aus einem erholsamen Schlaf aufgewacht.
    Seine rechte Schulter steckte in einem blutigen Verband. Vorsichtig tastete Adeen über den Stoff, doch er spürte nur ein leichtes Stechen, und so wickelte er kurzentschlossen den Verband ab. Seine Robe war über der Schulter aufgeschlitzt und steif von Blut, und eine getrocknete Blutkruste zog sich auch über seine Schulter und den Arm. Aber statt einer Wunde sah er nur eine frische rote Narbe.
    Er fröstelte. Da war noch etwas anderes, was in seiner Erinnerung trieb, als wären es die Gedanken einer anderen Person … Bilder eines endlosen, tiefblauen Himmels … schwarze Flügel und Krallen …
    Und eine hilflose Frau, die im Nichts trieb.
    Talanna!
    Was auch immer geschehen war, er musste sie finden. Bestimmt lebte sie noch, etwas anderes weigerte er sich zu glauben. Sie war stark. Wenn er es geschafft hatte, dann sie auch.
    Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Die Insel Gabta war in der Luft von Felssplittern getroffen worden. Sie bestand zwar aus demselben fliegenden Stein wie Rashija, aber zumindest die Trümmer des Kristallturms mussten auf den Boden gestürzt sein. Bei diesen Trümmern fand er vielleicht auch Talanna. Wenn er einen höher gelegenen Ort fand, konnte er sich einen Überblick verschaffen und sehen, wohin er sich wenden musste.
    Er lief über glänzendes Gras, das unter seinen Füßen knirschte. Wie anders diese Welt war! Alles in Rashija war so grau und braun wie die Erde – abgesehen vielleicht von den Uniformen der Soldaten –, und hier herrschte eine überwältigende Verschwendung von Farben. Adeen wagte kaum, irgendetwas genauer anzusehen aus Furcht, die fremdartige Schönheit könne sich jeden Moment vor seinen Augen in Luft auflösen.
    Schließlich erreichte er einen felsigen Hügel und schaute sich von der kahlen Spitze aus um. Der Himmel hatte sich inzwischen hellblau gefärbt. Was Adeen sah, jetzt, da ihm die Bäume nicht mehr den Blick versperrten, ließ ihn schaudern. Ein gewaltiger, unförmiger Schatten hing dort im Blau, ein Fleck von Nichts in einer Welt voller Farbe: Es war Rashija. Er musste die Stadt nicht sehen können, um das zu wissen, ein Blick auf den mächtigen fliegenden Felsen, auf dem sie erbaut war, reichte. Er lief nach unten hin spitz zu, war verdreht wie eine Baumwurzel oder eine schreckliche urtümliche Waffe. Um Rashija trieben die Nebeninseln an schimmernden Ketten. Adeen versuchte, die Trümmer von Gabta auszumachen, aber schließlich musste er sich geblendet abwenden. Das helle Morgenlicht und der schwarze Schatten schmerzten in seinen Augen. Er ahnte, dass der Sturm die Überreste der Insel davongetrieben haben musste. Schließlich hatten sie die Ketten gelöst, durch die Gabta mit der Hauptinsel verbunden gewesen war.
    Adeen ließ den Blick über den Wald wandern. In alle Richtungen breitete er sich aus, bunt gesprenkelt vom Herbst. Verzweiflung begann in ihm aufzusteigen – wie sollte er jemals jemanden an diesem unbekannten Ort finden? Und wie sollte er ohne Vorräte überleben? So schön diese neue Welt auch sein mochte, sein Verbündeter war sie wohl kaum.
    Dann bemerkte er in der Ferne eine Schneise im Wald, als seien die Bäume regelrecht umgeknickt worden. Vom Ende der Schneise stieg schwarzer Rauch auf, Feuer loderte. Dort steckte etwas in der Erde – ein Felsblock,

Weitere Kostenlose Bücher