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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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die Innenseite seiner Augenlider. Sein Haar sträubte sich. Schmerz in seiner Brust verbrannte ihn. Die Erde unter seinen Füßen knirschte, bäumte sich auf und ließ ihn taumeln. Blätter und Erde wirbelten empor – und ein Spalt, deutlich sichtbar, fraß sich durch den Untergrund, direkt auf den Magier zu, der seine Skada zum Angriff vorantrieb. Das Tier erkannte die Gefahr, warf sich mit gesträubter Halskrause herum und bog den Kopf zurück, doch es war bereits zu spät: Unter seinen Füßen zerbröckelte der Boden. Die Skada stürzte, der Reiter wurde aus dem Sattel geschleudert und schlug hart nur wenige Schritte von Keyla entfernt auf. Sofort rollte der Magier sich auf die Seite und tastete nach dem Köcher mit Schriftrollen, der ihm aus der Hand gefallen war. Doch Keylas Leute waren bereits über ihm, und er verschwand unter ihren Händen und schartigen Waffen.
    Adeen nahm es nur wie aus der Ferne wahr. Der Schmerz in seiner Brust raubte ihm den Atem. Er krümmte sich und stützte sich auf seine Lanze. Sein Gesicht fühlte sich an, als hätte ein ganzer Fliegenschwarm darauf Platz genommen. Der Druck in seiner Brust wurde stärker, unerträglich, er musste diese Enge verlassen,
musste seine Flügel ausbreiten. Und er flog auf, erhob sich mit schweren Flügelschlägen in den Abendhimmel und erblickte unter sich Menschen, wie sie umherrannten, wie sie schrien mit ihren dünnen Stimmen und einander töteten mit Schwertern und Geschossen. Einige hatten Stellung auf den Felsen bezogen, über die er hinwegglitt, und zielten mit ihren Bögen auf andere, die in der Schlucht gefangen waren. Reiter in roten Umhängen auf Skadas schleuderten Zauber, ein unangenehmes Aufblitzen für seine Augen.
    Er hatte einen warmen Luftwirbel gefunden, auf dem er sich emportragen ließ, und beobachtete das fremdartige Treiben, das ihn nicht betraf.
Doch das konnte nicht sein, denn gleichzeitig lag er im nassen Laub, ein verschwommenes Gesicht hatte sich über ihn gebeugt, und eine Stimme fragte ihn etwas mit Worten, die er nicht verstand.
    Ich könnte den Menschen in der Schlucht helfen, wenn ich die Bogenschützen von den Felsen entferne, überlegte er. Er wusste, dass er die Macht dazu besaß. Er brauchte sie nur zu berühren; wie der warme Luftstrom, der sein Gefieder streichelte, war sie um ihn. Aber warum sollte er eingreifen? Was lag ihm an diesen fremden Menschen?
    Es ist nicht wahr, ich bin kein Vogel, ich kann nicht fliegen, ich bin einer von diesen Menschen. Und vielleicht sterbe ich gerade. Aber Talanna ist hier, sie ist verletzt, und ich werde sie retten, wenn ich es irgendwie kann.
    Er musste die Kraft nicht in sich aufnehmen. Sie strömte in ihn, war in ihm, war er selbst, war Wind und Erde und Wärme. Er konnte sie formen, wie er wollte, einen Luftstoß erzeugen, der ausreichte, einen Menschen von den Füßen zu reißen. Ihr schwacher Körper hielt sie ja ohnehin kaum aufrecht. Mit seinen Flügeln strich er dicht über die Bogenschützen hinweg, wirbelte die Luft durcheinander, so dass sie niedergeworfen wurden. Einige verloren nur ihre Waffen, andere stürzten über die Felskante in die Tiefe. Sofort neigte sich die Waagschale zugunsten der Rebellen. Die Magier im Tal, die sich nicht mehr auf die Unterstützung der Bögen verlassen konnten, wandten sich zur Flucht und stoben in einem Blätterwirbel davon.
    Und plötzlich war seine Kraft fort, Kälte umschloss ihn, seine Schwingen fanden keinen Halt mehr, und er fiel, fiel kopfüber wie in einem Alptraum und
schlug in seinem Körper auf. Er hörte das panische Stolpern eines Herzens, wie jemand nach Atem rang, und begriff zunächst nicht, dass er selbst es war.
    »Hoch mit dir!«
    Arme zerrten an ihm, versuchten, ihn aufzurichten. Doch er hatte keine Kraft, um zu stehen.
Wenn ich mit den Flügeln das Gleichgewicht halte – nein, verrückte Krähe, du hast keine Flügel, du bist …
    »Du kannst es nicht mehr leugnen: Du bist ein Magier!«
    Nun erkannte er Keylas Stimme. Die grünen Nebel vor seinen Augen flossen auseinander, und Adeens Blick fiel auf die Lanze, die er noch immer umklammert hielt.
    Aus dem Schaft war ein frischer Zweig gesprossen, so lang wie seine Hand. Die gelbgrünen jungen Blätter entfalteten sich eben, sie waren so zart, dass sie an den Rändern beinahe durchscheinend wirkten. Ohne zu begreifen, was er sah, betrachtete Adeen das Wunder. »Habe …« Er fand seine Stimme nicht und musste sich räuspern, ehe er noch einmal ansetzte: »Habe ich das

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