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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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sie nicht den Mut gefunden hätte, Rashija zu verlassen und herauszufinden, was sich schon so lange in ihm versteckte.
    Er strich über ihr Gesicht. Ihre Haut war feucht vom Nebel. Und auf einmal erschien es ihm ganz selbstverständlich, sie zu küssen. Im ersten Moment zuckte sie überrascht zurück. Aber dann erwiderte sie den Kuss beinahe schüchtern. Sie war wie der Sommer gewesen, wie der Geruch heißer Asche, doch nun war sie nichts von alldem – Herbst umgab sie, und sie schmeckte süß, Nebel hüllte sie ein, der Winter würde kommen, mit ihm der Krieg, und er hielt sie fest. Könnte er das doch immer tun, damit sie bei ihm blieb, damit der Krieg über sie hinwegzog wie ein Sturm bei Nacht und ihnen keinen Schaden zufügte. Aber er ahnte, dass auch seine neue Macht ihm nicht helfen würde, Talanna festzuhalten, wenn sie es nicht wollte.
    »Ich habe Angst um dich«, flüsterte er.
    »Um mich?«
    »Ja. Weil du dich vor nichts fürchtest.«
    Während er es aussprach, begriff er, dass es stimmte. Talanna kannte Wut und Verzweiflung, und sie hatte auch gelitten, aber Angst war ihr fremd, selbst jetzt noch. Ihre Nähe weckte auch noch andere Gefühle in Adeen, die er sonst lieber in seine Träume zurückdrängte. Solange sie einander nicht berührt hatten, war es ihm gelungen. Doch jetzt wurden seine Knie weich, und die Hitze, die durch seinen Körper schoss und sich darin verzweigte, stammte nicht von der Magie ringsum.
    Aber es war gut, es war richtig, und er schämte sich nicht dafür. Auch wenn er von der Liebe noch weniger als von Magie verstand, schwieg die Stimme in ihm, die ihn als törichte Krähe beschimpfte. Talanna hatte ihn gelehrt, seine angeborene Macht zu spüren und zu gebrauchen. Sie würde ihn auch anderes lehren, ihr vertraute er.
    Er zog sie an sich und küsste sie erneut, verblüfft über seine Kühnheit. Sie griff nach seiner Hand, verschränkte ihre Finger mit seinen. Wenn auch ihre Berührungen noch immer zögernd waren, er hätte schwören können, dass sie die Feuermagie in sich wiedergefunden hatte, so leckte die Flamme seinen Arm hinauf.
    Doch nur einen Moment lang, dann erstarrte Talanna.
    »Was hast du?«, fragte er.
    Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nichts.«
    »Ist es … wegen Charral?«
    »Sprich nicht von ihm.«
    »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erinnern …«
    Sie verschloss ihm den Mund mit einem schnellen Kuss. »Das tust du ohnehin ständig.«
    Adeen verstand nicht, wovon sie sprach, aber bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie beide Arme um seinen Nacken geschlungen und war plötzlich nahe, so nahe, dass er keuchend die Luft einsog.
    »Du willst mir also helfen zu vergessen?« Bildete er es sich ein, oder hörte er eine Spur der alten Härte in ihrer Stimme? »Dann tu es. Jetzt.«
    »Ich möchte so viel von dir lernen«, brachte er atemlos hervor, »aber ich möchte … dir nicht weh tun.«
    In Talannas Augen lag ein Schatten, aber sie lächelte. »Du wirst mir nicht weh tun, das weiß ich.«

    Sie hatten einen Platz unter einem Nadelbaum gefunden, der seine Äste weit ausspannte und den Boden darunter vor dem Nieselregen der letzten Tage abgeschirmt hatte. Zum Winter hin warf der Baum seine Nadeln ab, und die hellbraunen Büschel lösten sich schon bei einer leichten Berührung von den Zweigen. Über Jahre hinweg hatten sie unter dem Baum ein Polster gebildet, das weder völlig trocken war noch mit einer Matratze mithalten konnte, aber was bedeutete das schon? Talanna zog ihren Umhang aus und warf ihn über die Nadeln. Es konnte keinen besseren Ort geben.
    Jede Sinneswahrnehmung brannte sich unauslöschlich in Adeens Gehirn ein: der bittere Geruch der Erde, das ferne Schnattern der Enten, das Nebelgrau, das leichte Stechen der Nadeln, wenn sie den Stoff durchdrangen.
    Talanna schien ihre Hand direkt um sein Herz zu schließen, und es schmerzte. Aber wenn es nach ihm ging, hätte sie ihn dennoch nie wieder losgelassen. Auch fern von Rashija war sie eine Flamme und erfüllte seine geschlossenen Augen mit ihrem weißen und rotorangen Licht.
    Wie gut, dass sie allein waren, getrennt von allem durch den sanften Nebelvorhang. Dieser Teil der Welt gehörte ihnen allein, war ihre Zuflucht mitten im Krieg. Sein Haar hing voller weicher Nadeln. Sie klebten auch an seinem Rücken und hatten sich überall in seiner Kleidung festgesetzt. Lachend pflückte er sie heraus, griff eine Handvoll vom Boden und warf sie im Spaß nach Talanna. Sie hatte sich noch nicht

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