Flügel aus Asche
wieder angezogen und lag auf dem Bauch, den Kopf aufgestützt. Als die Nadeln sie trafen, wandte sie sich zu ihm um.
Auch wenn ein Lächeln um ihre Mundwinkel zuckte, der Schatten in ihren Augen war noch immer da.
Plötzlich durchflutete Adeen Besorgnis, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Im blassen Licht sah er die vielen Verletzungen, die Talannas hageren Körper übersäten, alte Narben, Blutergüsse, die frisch verheilte Pfeilwunde an ihrer Schulter. Was für einen seltsamen Gegensatz bildete dazu ihre Stärke, die sie ihn eben hatte fühlen lassen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Nichts.« Sie griff nach ihrer Tunika, klopfte die Nadeln ab und streifte sie über.
Er hatte ihr nicht etwa doch weh getan, so wie Charral? »Ich liebe dich.« Worte klangen schwach, und Adeen wünschte, er hätte Talanna die Farben sehen lassen können, die er gesehen hatte. Er schmiegte sich an ihre Schulter, und sie ließ es geschehen. »Ich hätte nicht geglaubt … nach Rasmis Tod hätte ich damals am liebsten aufgegeben. Ohne dich hätte ich nicht den Mut gehabt, die Flucht aus Rashija auch nur zu versuchen, weißt du das überhaupt? Und jetzt bin ich glücklich.«
Noch während er sprach, trat eine schreckliche Leere in Talannas Gesicht, und sie wandte rasch den Kopf ab.
»Talanna?«
»Ich hätte das nicht tun dürfen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Mit dir.« Plötzlich klang Talannas Stimme hart und tonlos. »Es war ein Fehler. Es heißt, wir Feuerkinder seien unbeherrscht, wenn wir … verdammt!« Sie schob ihn von sich, richtete sich auf und kehrte ihm den Rücken zu.
»Talanna?« Adeen wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Es war, als würde sie ihm entgleiten, nachdem sie ihm eben endlich so nahe gewesen war. Was hatte er falsch gemacht? »Ist es, weil ich eine Krähe bin? Ich dachte, das …«
Das würde für dich keinen Unterschied bedeuten.
Er konnte nicht weitersprechen und biss sich auf die Lippen.
»Nein, das ist es nicht! Ich hätte dir längst die Wahrheit sagen müssen. Aber es war viel einfacher … es nicht zu tun.« Talannas Worte kamen nur stockend, als müsse sie sich zu jedem Wort zwingen. »Nun überschüttest du mich mit Liebeserklärungen … du bist so sanft, du machst dir Sorgen um
mich,
ob du mich verletzen könntest … nein, fass mich nicht an.«
Ihr Tonfall wurde schneidend, und Adeen zog rasch die Hand zurück. Auf einmal hatte er Angst. Seine kleine, goldgraue Nebelwelt, die sie beide einhüllte, war empfindlich. Sie waren beide vom Himmel zur Erde gestürzt, und das hatte ihre Herzen und Seelen verschmelzen lassen, war es nicht so? Wer wollte da die Wahrheit hören, wie Talanna es nannte?
»Es ist doch alles gut, so wie es ist«, sagte er. »Wenn wir zusammenbleiben und uns gegenseitig beschützen, dann werden wir den Krieg überstehen, nicht wahr?«
Mit beiden Händen rieb sich Talanna die Augen und fuhr sich durch die Haarstoppeln. »Ach, sei still! Du hast ja keine Ahnung. Nichts ist gut. Ich schulde dir die Wahrheit, schon lange. Aber … es war nie der richtige Zeitpunkt.« Sie lachte kurz und bitter auf. »Und jetzt ist wohl der schlechteste Zeitpunkt überhaupt. Weißt du, wem dein Freund Rasmi den Tod verdankt?«
Adeen schwieg.
»Nemiz hat damals gesagt, dass ein Verräter in der Gruppe sein muss, erinnerst du dich? Nur ein Verräter hätte die geänderten Pläne so schnell an die Regierung weitergeben können. Er hatte recht. Aber er war immer noch zu blind, um die richtige Person auszumachen. Ich war die Verräterin.«
Adeen fühlte sich wie gelähmt. »Warum lügst du?«, fragte er.
Sie musste lügen. Es gab keine andere Möglichkeit.
Talanna hatte ihm den Rücken zugekehrt und sprach mit unbeteiligter Stimme. »Es gab eine Zeit, da habe ich an die Lehren des Herrschers geglaubt. Wie sollte ich auch nicht? Jeder glaubte daran. Und die Rebellen waren für mich nichts weiter als ein Haufen Unruhestifter. Es war leicht, Nemiz’ Vertrauen zu erlangen und ihn auszuspionieren. Er sah gern ein rebellisches Herz in jedem, sogar in mir.«
Adeen schüttelte den Kopf. Er konnte nicht fassen, was er hörte. »Das ist doch nicht wahr!«
»Erinnerst du dich, wie wir vor der Brücke nach Gabta von den Wachen umzingelt wurden? Der Hauptmann hat vor Nemiz und all seinen Leuten gesagt, dass ich euch hintergangen habe.«
»Aber das stimmt nicht! Du hast uns geholfen, bist mit uns geflohen …«
Talannas Schultern hoben sich und sanken wieder herab, als
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