Fluegel der Dunkelheit
Über ein hilfloses Häufchen, das nicht mal
allein in der Lage sein wird, seinen natürlichen Bedürfnissen
nachzukommen?« Liana konnte ja nichts dafür und doch musste Victor
diese Wut loswerden.
Liana legte ihre
Hand auf Victors Rechte. »Wir müssen zunächst abwarten. Die
Operation hat sehr lange gedauert und ist noch keine vierundzwanzig
Stunden her. Im Grunde bin ich froh, dass er noch nicht aufgewacht
ist. Seine Schmerzen werden nicht gering sein. Außerdem fürchte ich
mich vor Panikattacken, wenn ihm bewusst wird, dass er sich in einem
Krankenhaus befindet.«
Victor senkte seinen
Kopf. »Ich will nicht, dass er weiter leiden muss.«
Jetzt ergriff Liana
seine Hand. »Meinst du vielleicht, ich möchte, dass sich der Mann,
den ich über alles liebe, quälen muss? Wirklich jede Möglichkeit,
die in meiner Macht stand, habe ich ausgeschöpft. Aber diese
Mikrochips haben Teile seines Gehirns verletzt, damit sind die
betroffenen Bereiche unwiederbringlich zerstört worden.« Liana
knetete seine Hand. Zwei ihrer Tränen klatschen darauf. »Um Traians
Gesundheit wieder herzustellen, würde ich bei Gott alles geben.«
Sie presste kurz die Lippen aufeinander. »Durch den Shunt hatte man
ein dünnes Kabel gezogen. Was Traian hinter sich haben muss, liegt
außerhalb von dem, was wir uns beide zusammen vorstellen können.«
»Ja, das ist wohl
wahr.« Victor spürte, wie eine Gänsehaut seinen Körper überzog.
Er flüsterte. »Wenn er leidet, wirst du ihn erlösen?« Er konnte
das Entsetzen in ihrem Gesicht ablesen.
Liana schnappte nach
Luft. »Erwartest du das von mir?« Ihr entsetzter Unterton
verdeutlichte Victor, dass Liana als Ärztin dafür der falsche
Ansprechpartner war. Obendrein liebte sie Traian. Aber gerade
deswegen sollte sie ihn nicht leiden lassen.
»Nein. Aber du
wirst es mir sagen, nicht wahr?« Er hätte diese Worte unter Hypnose
vermitteln können, aber so viel Ehrlichkeit traute er Liana zu.
Sie nickte, schien
dabei zu überlegen. »Großes Vampirehrenwort.« Ihr Piepser meldete
sich. »Entschuldige mich.«
Liana wartete vor
den Fahrstühlen. Plötzlich verspürte sie eine eisige Kälte. Alle
Aufzüge befanden sich auf der siebenten Etage. Die magische Sieben!
Ohne weiter nachzudenken, folgte sie dem Instinkt, jagte die Stufen
der fünf Stockwerke nach oben, dann den Flur entlang. Unregelmäßiges
Piepsen des EKGs hallte bis auf den Flur.
Die Tür zu Traians
Zimmer stand offen. Drei Schwestern versuchten, seinen zuckenden
Körper festzuhalten. Auch wenn Liana der Anblick sehr zusetzte,
dafür blieb jetzt keine Zeit. Schnell musste eine Entscheidung
getroffen werden. Sie griff nach einem krampflösenden Therapeutikum,
um es in den Infusionsschlauch, über die Traian mit Flüssigkeit und
schmerzstillenden Medikamenten versorgt wurde, zu spritzen. Zur
Stabilisierung des Herzrhythmus verabreichte sie erneut Lidocain.
»Wann hat das
angefangen?« Bisher zeigte Traian keine Veränderung. Sein ganzer
Körper schien von heftigen Stromstößen gequält zu werden.
»Vor genau fünf
Minuten.« Die Schwester versuchte Traians Kopf festzuhalten, damit
die frischen OP-Nähte mit den Drainagen nicht aufplatzten. Das war
kein gutes Zeichen. Liana fragte sich, ob sie während der OP etwas
übersehen hatte. Traian durfte nicht leiden, das wollte sie doch
verhindern. Sie kämpfte mit sich, was sie tun sollte. Dieser Anblick
wühlte sie zu sehr auf. Letztlich griff sie zur zweiten Ampulle
dieses starken Medikamentes. Nach zwei Minuten zeigte er endlich eine
Besserung. Liana wischte sein nassgeschwitztes Gesicht trocken. »War
er wach?«
Die Schwester
ordnete das Durcheinander auf dem Bett um Traian herum. »Nein.« Sie
zog das Laken über seinen Körper zurecht. »Zuerst sah es nach
einem Herzstillstand aus, dann setzte der Anfall ein.«
Das war noch mal
gutgegangen. »Danke. Ausgezeichnete Arbeit.« Liana blieb allein
zurück, während die Schwestern das Zimmer verließen. Sie machte
sich Vorwürfe, dass sie bei Victor gewesen war und nicht hier, an
seiner Seite, wo sie gebraucht wurde. Sie nahm sich einen Stuhl ans
Bett und setzte sich neben ihn. Sie legte ihre Hand auf seine, an die
Stelle, wo keine Kanüle in seinen Adern steckte und keine Gefahr
bestand, ihm unnötig Schmerzen zu zufügen. Seit sie im Potsdamer
Wald den Moment seiner Entführung hautnah miterlebt hatte, fühlte
sie sich sehr stark mit ihm verbunden. Umso belastender empfand sie
es, ihn in einer solchen Situation zu wissen. Wodurch
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