Fluegel der Dunkelheit
drei
Mikrochips hatten eine derart untypische Anordnung, dass Liana davon
ausgehen musste, dass sie im Laufe der Zeit gewandert waren. Ein
großer grauer Schatten um den mittleren Chip wies auf eine
Verletzung hin.
Sie versuchte, an
dem wachsenden Kloß in ihrem Hals vorbei zu sprechen. »Das hier ist
eine Einblutung im Gehirn.« Sie drehte sich zu Sergiu und Victor um.
»Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, die Blutung zu stoppen. Dabei
werde ich natürlich die Implantate sowie den Shunt entfernen.«
Victor sah käsig
aus. »Du erwartest aber nicht, dass ich dabei zusehe, oder?«
Liana schüttelte
den Kopf. Für sie war es das erste Mal, jemanden zu operieren, der
ihr nah stand. Der ihr mehr, als ihr eigenes Leben bedeutete. Unter
dieser Voraussetzung einen klaren Kopf zu bewahren, schien ihr
unmöglich und doch war dies der einzige Weg, die Liebe ihres Lebens
zu retten.
»Ich werde jetzt
alles vorbereiten. Wenn ich im OP bin, könnt ihr beide nach Hause
fahren. Ich werde mich bei euch melden.«
Sergiu packte ihre
Hand. »Kommt gar nicht ...«
Liana spürte ihre
heftige Röte im Gesicht. Für derartige Diskussionen hatte sie nun
gar keine Nerven mehr. »Das wird kein Spaziergang. Traians Leben
hängt an einem seidenen Faden. Diese OP wird mehrere Stunden in
Anspruch nehmen. Fahrt nach Hause.« Energisch verließ sie das
Besprechungszimmer.
»Sie steht unter
enormen Druck.« Sergiu klopfte Victor auf die Schulter. »Da fällt
sie in den Göttin-in-weiß-Modus. Andererseits, was können wir hier
schon ausrichten? Verteile deinen ›Es-gibt-keinen-Vampir-Virus‹
und dann lass uns nach Hause fahren.«
Victor wirkte
gereizt. »Das hab ich längst erledigt, hältst du mich für einen
Anfänger?« Seine barschen Worte wurden ihm wohl gerade bewusst.
»Entschuldige, ist nicht deine Schuld. Ich hätte Luca nicht
nachrennen dürfen. Wenn er stirbt ...« Victor stockte und blies
seinen Atem aus.
»Jetzt mach aber
mal’ n Punkt. Ja, vielleicht hätten wir das Ganze anders anpacken
können. Aber wie? Wie soll man jemanden helfen, der ständig nur auf
der Flucht ist.« Sergiu fielen die Aufzeichnungen der Versuche ein.
»Wenn ich es mir richtig überlege, ist Liana mit ihrem Kontakt viel
weiter an Luca herangekommen, als ich zu hoffen gewagt habe. Woher
soll der Junge auch wissen, dass wir zu den Guten gehören.«
Victor schüttelte
den Kopf. »Ich fühle mich so schuldig.«
Sergiu suchte eine
Möglichkeit, seinen Freund aufzubauen. »Aber wieso du? Wer hat ihm
denn das ganze Zeug ins Gehirn gepflanzt? Wer hat diese Panik bei ihm
denn ins Rollen gebracht? Wer?«
»Schluss!« Victor
atmete flach, »meinst du nicht, das Wissen was Luca und seine Eltern
durchlebt haben, geht an mir spurlos vorbei?«
Sergiu ahnte, wie
sehr diese Geschichte ihn belastete. Lucas Onkel war schließlich ein
enger Freund von Victor, somit kannte er den Jungen auch noch von
früher. »Victor! Er ist ein Vampir. Er wird es schon schaffen.«
Victor presste die Lippen aufeinander. »Hoffentlich.«
Nach über acht
anstrengenden Stunden streifte Liana die OP-Kleidung vom Leib. Sie
fühlte sich müde, erschöpft. Gleichzeitig war sie aber auch durch
die niederschmetternde Erkenntnis der Operation angespannt, dass sie
jetzt unmöglich an Schlafen denken konnte. Die frühe Morgensonne
blinzelte über die Häuser der großen Stadt, schenkte ihr einen
kleinen Hoffnungsschimmer. Im Aufenthaltsraum zog sie ihr Handy
hervor und ging für einen Moment an die frische Luft nach draußen.
Sie tippte Sergius Telefonnummer ein und wartete, bis er das Gespräch
annahm.
»Ich habe mein
Bestes getan.« Sie schluckte, fühlte plötzlich wieder einen
riesigen Kloß im Hals.
Sergiu klang
gefasst. »Was heißt das?«
Sie spürte die
aufkommenden Tränen. »Wir können jetzt nur abwarten. Aber aus
Erfahrung fürchte ich, es wird nicht gut ausgehen.«
»Ich fahre gleich
los.«
Bevor Liana
antworten konnte, hatte er aufgelegt. Wie in Trance starrte sie
geradeaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Vor ihrem geistigen Auge
spielten sich die glücklichen Momente, die sie mit Traian verbrachte
hatte, ab: Der Abend mit dem köstlichen Essen, die Fahrt in diesem
einmaligen Auto, seine Umarmung, sein magischer Kuss. Danach
erschienen ihr die Vision im alten Krankenhaus, die Szene aus dem
Potsdamer Wald und das letzte Treffen mit ihm, wo sie sich vor seinem
Anblick erschrocken hatte. Im Nachhinein war ihr klar, dass seine
roten Augen nichts mit Schlaflosigkeit zu tun
Weitere Kostenlose Bücher