Fluegel der Dunkelheit
Gleichgesinnten hier an diesen Maschinen zu
wissen, brachte ihn um den Verstand. »Ich wollte ihm in die Augen
sehen, ihm sagen, dass er kämpfen muss.«
Liana legte eine
Hand auf seine Schulter. »Er kämpft schon lange um sein Leben,
Victor. Das tat er bereits an dem Tag, als man ihn mit seinen Eltern
entführt hat.«
Nur änderte es
nichts daran, dass er mit dieser Situation nicht klar kam. »Ja. Du
hast recht.« Unumstößlich stand für ihn fest, dass er besser
heute, spätestens aber morgen Luca erlösen musste.
Liana nahm ihre Hand
zurück. »Ist mit Veit alles in Ordnung?«
Victor rieb sich die
Stirn. »Ja. Der arme Kleine bekam von der Oma furchtbare Breie und
andere unblutigen Speisen. Da würde wohl jeder Vampir streiken.
Sergiu hat ihm einen guten Schluck Rinderblut gegeben, schon ging es
ihm besser.«
»In deinen Händen
ist Veit vermutlich am besten aufgehoben.« Liana streichelte Luca
über die Wange. »Ich habe die Schmerzmitteldosis gesenkt. Ich
möchte nicht riskieren, dass seine Nieren versagen.«
Was sagte Liana da?
Victor fühlte das
Entsetzen in seinem Gesicht. »Er bekommt Schmerzmittel?« Das durfte
doch nicht wahr sein.
»Natürlich! Was
glaubst du denn? Die Kopfhaut aufschlitzen und den Schädel
auseinander sägen verursacht schon massive Beschwerden.«
Er hätte Luca
niemals einem Menschen überlassen dürfen. Liana hatte keine Ahnung,
was sie damit anrichtete. Victor packte sie fest an den Schultern.
»Luca ist ein Vampir. Du kannst seinen empfindsamen Körper nicht
mit dieser Chemie vollstopfen.«
Sie hob ihre Stimme
an. »Großartig! Vielleicht könntest du ja ein Semester Vampirkunde
im Medizinstudium anbieten.« Ihre Augen funkelten. »Auch du
wolltest ihn nicht leiden sehen.« Sie sprach ruhig weiter, schwenkte
ihren Blick in Lucas Gesicht. »Ich kann nicht mal sagen, inwieweit
er überhaupt etwas wahrnimmt.«
Das erklärte
jedenfalls, warum Lucas Zustand sich nicht veränderte, wieso er
nicht in der Lage war, eine Selbstheilung durchzuführen. Victor ging
um das Bett und griff nach den drei Infusionsflaschen. »Welche ist
es?« Ein entsetzlicher Gedanke einem Vampir mit Medikamenten seine
Sinne zu rauben.
Menschen!
»Bitte lass das.«
In Lianas Augenwinkel sammelten sich Tränen. Victor konnte nicht
warten, bis Liana begriff, wie schädlich das Zeug für Vampire war.
Er nahm eine Schere und durchtrennte alle drei Schläuche, die in
Lucas Handrücken in einer Kanüle steckten. Liana eilte sofort auf
ihn zu, versuchte ihm die Schere zu entreißen.
»Du bringst sein
Leben in Gefahr. Hör auf damit!« Ihre Hände festzuhalten war ein
Kinderspiel. Sie konnte sein Vorhaben nicht behindern.
»Ha! Sein Leben? Wo
bitte ist außer uns beiden hier ein Leben? Ich sehe nur eine
Maschine, die einen leblosen Körper gefangen hält und ihn nicht
gehenlässt. Wie soll Lucas Seele Freiheit finden?« Sie verstand das
als Mensch einfach nicht.
»Bitte Victor! Es
ist noch zu früh, um ihn aufzugeben.« Augenblicklich musste er hier
raus. Morgen würde er dieses Unglück beenden.
Liana schaute Victor
nach. Sie konnte nicht nachvollziehen, was in ihm vorging.
Andererseits gab es in ihrer bisherigen Laufbahn als Ärztin
lediglich menschliche Patienten. Von Vampiren verstand sie vermutlich
wirklich nichts. Nach Traians Anfall hatte sie selbst gezweifelt,
letztlich die Schmerzmittel dafür verantwortlich gemacht. »Du
kannst seinen empfindsamen Körper nicht mit dieser Chemie
vollstopfen«, wiederholte Liana innerlich Victors Worte. Sie fühlte
sich zerrissen. Einerseits forderte ihr medizinisches Wissen auf dem
bisherigen Weg zu bleiben, während ihr Gefühl sich an Victors
Aussage klammerte. Sie begann aufzuräumen, das von Victor
verursachte Chaos in Ordnung zu bringen. Sollte sie wirklich die
Medikamente absetzen? Einige Minuten kämpfe ihr Verstand gegen ihr
Bauchgefühl. Letztlich siegte ihr Instinkt. Sie entfernte die zwei
Infusionsschläuche. Die Kochsalzlösung, die Traians Körper mit
Flüssigkeit versorgte, legte sie wieder an. Danach nahm sie Traians
Hand. »Verzeih mir, wenn ich etwas falsch gemacht habe.« Sie
presste die Lippen aufeinander. Ein schlechtes Gewissen machte sich
breit, mehr Schaden angerichtet zu haben, als Hilfe.
Traian! Er würde
ihr niemals mehr in die Augen sehen können, ihr nie mehr erzählen,
was ihn bedrückte, sie würde niemals wieder seine Stimme hören.
Das war ziemlich bitter, zumal das vermutlich lange nicht alle
Einschränkungen waren. Dennoch war
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