Fluegel der Dunkelheit
konnte dieser
Anfall ausgelöst worden sein? Eventuell waren es die
schmerzstillenden Medikamente. Traian reagierte womöglich
empfindlicher als Menschen.
Sie drosselte an der
Infusion die Schmerzmittelzufuhr. »Im Moment wirst du vermutlich gar
nichts spüren. Dein Körper ist mit so viel Chemie vollgepumpt, dass
ich Angst habe, dass deine Nieren versagen.« Eine furchtbare
Vorstellung. Sie schaute kurz auf den EKG-Monitor, verfolgte die
Kurven. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn vor sich, lebendig und
voller Lebenskraft. Nie wieder würde er so vor ihr stehen. Diese
Überlegung bohrte sich als brennender Schmerz in ihr Herz. Sie
spürte, wie ihr die Tränen die Wange herunterrannen. Ihre Hand
blieb liegen, denn er sollte sie spüren können.
Liana sah auf seine
Augenpartie. Die tiefen roten Ringe unter seinen Augen sahen aus, als
hätte jemand mit Sandpapier die oberste Hautschicht abgetragen. Das
würde bald vergehen, auch seine unnatürlich blasse Hautfarbe. Trotz
dieser Umstände hatte sein Gesicht nichts an Anziehung verloren. An
seinen dichten Wimpern, an seinen dunklen Augenbrauen konnte sie sich
nicht sattsehen. Sie wünschte sich neben dem Klebeband seine
schwungvollen Lippen zu küssen, doch sie fürchtete sich davor, dass
ihr innerer Schmerz dabei schlimmer werden würde. Ihr Blick fiel auf
seine kräftige Brust. Durch die Beatmungsmaschine füllten sich
seine Lungen, bewegten seinen Brustkorb mit den Klebeelektroden des
EKGs darauf auf und ab. Wie schmal sein athletischer Bauch dagegen
wirkte. Sie fühlte den Stich der Wahrheit in ihrem Herzen. Mit jedem
Tag, den er hier lag, baute sein Köper weiter ab. Auch wenn er jetzt
aufwachen würde, war es unwahrscheinlich, dass er jemals wieder in
Form kommen könnte. Liana sprang auf, als sich die Tür öffnete.
Victor sah zuerst zu
Traian, »ist so weit alles in Ordnung?«, danach zu Liana. Sie
nickte kurz, hielt es für besser, nichts von dem Anfall von eben zu
erzählen. Seine Frage aus der Cafeteria beunruhigte sie.
Die nächsten beiden
Tage konnte Liana die Drainagen nach und nach entfernen, was Traians
Anblick erträglicher machte. Ansonsten glaubte sie, auf der Stelle
zu stehen. Langsam sollte er zu sich kommen, doch sein Zustand zeigte
so gar keine Veränderung. Wiederholt traten Herzrhythmusstörungen
auf. Liana begann in Betracht zu ziehen, dass die Entfernung der
Mikrochips mehr Zellen zerstört hatte, als sie bislang angenommen
hatte. So schwer ihr die Überlegung fiel, doch sie musste sich mit
dem Gedanken anfreunden, dass es für Traian keinen Weg aus dem Koma
gab. Sergiu besuchte Traian meist am Vormittag, Victor am Abend und
blieb, solange es dunkel war. Liana war nur ein Mal für sechs
Stunden zum Schlafen nach Hause gefahren. Auch wenn sie keinen Dienst
hatte, wollte sie in Traians Nähe bleiben, jeden denkbaren
Augenblick für ihn da sein, ihn spüren lassen, dass sie ihn nicht
im Stich ließ.
Gegen 21:00 Uhr fuhr
Victor zur Intensivstation. Er hatte Liana in der Cafeteria über
einen Kaffee sitzen sehen. Müde sah sie aus. Kein Wunder, sie wich
ja kaum von Lucas Seite. Wie gut, dass sie ihn nicht gesehen hatte
und er jetzt allein mit Luca sein konnte.
»Ich komme heute
ein letztes Mal zu dir, Luca Traian Constantinescu.« Er stellte sich
an das Bettende. »Ich gab dir drei Tage. Ich sehe nicht die
geringste Bemühung von dir zu kämpfen. Morgen wird nichts anders
sein.« Victor spürte einen lästigen Kloß im Hals, er musste
schlucken. »Wenn du leben willst, zeige es mir jetzt. Sonst ist dein
Schicksal besiegelt.« Victor wartete auf eine Veränderung, auf ein
Zeichen. Wie lange sollte er warten, vor allem worauf? Glaubte er
wirklich, dass Luca etwas wahrnahm? Lianas Prognosen klangen so
entsetzlich düster. Victor trat neben das Bett. Mit seinen Daumen
und Zeigefingern riss er Lucas Augenlider auseinander. Er erschrak.
Das Weiß in den Augen war teilweise blutig. Es sah zum Fürchten
aus, dennoch meinte Victor, Luca würde ihn anstarren. »Du wirst
jetzt eine Selbstheilung durchführen, so, wie ich es dir in Popescu
beigebracht habe. Dann wirst du diesen medizinischen Scheiß hier
zurücklassen und ein sinnvolles Leben beginnen.« Victor atmete
tief. »Genau das wirst du tun, Luca Traian Constantinescu.« Er
richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf Luca.
»Victor? Was tust
du da?« Liana stand unerwartet hinter ihm.
Victor versuchte,
gelassen zu wirken. Ihn beschlich ein schlechtes Gewissen, doch Luca,
einen Vampir, einen
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