Fluegel der Dunkelheit
Traian darf
nicht noch einmal unter gewissenlosen Ärzten leiden und für ihre
Forschungen missbraucht werden.« Ihre Augen funkelten.
Es war längst
überfällig, endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Victor bereute
sein Hinausschieben, er hätte Luca gleich am ersten Tag erlösen
sollen. »Behinderte Vampire hat es noch nie gegeben und bei Dracula,
Liana, ich schwöre dir bei meinem Leben, auch in Zukunft wird das
nicht geschehen. Ich gebe dir Recht, dass niemand Luca weiteres Leid
zufügen sollte.« Er straffte die Schultern. »Ich, Victor Darius
Antonescu, werde Luca Traian Constantinescu von seinem jämmerlichen
Dasein erlösen.«
Lianas Miene
spiegelte Entsetzten wider. Ihre Pupillen weiteten sich auffallend.
»Dazu hast du kein Recht!«
»Kein Vampir hat je
einen Rollstuhl, eine Sehhilfe, ein Medikament benutzen müssen. Das
wäre eine Schande, eine Erniedrigung, die wir niemals dulden werden.
Luca muss erlöst werden. Ich werde seine Würde wiederherstellen,
indem ich seine Seele freigebe.«
Liana fehlten die
Worte, sie spürte ihre Verzweiflung in sich wachsen. Victor hatte
sich die letzten Tage deshalb so merkwürdig verhalten, weil er nicht
mit dieser Situation klarkam. Jetzt wurde ihr das deutlich.
Vermutlich gab es Nichts und niemanden, der ihn umstimmen konnte.
Einerseits wollte er Traian aus der Gewalt von Lu Hong Sung befreien,
andererseits aber wollte er ihn umbringen. Grotesk! »Ich bin Ärztin.
Ich habe einen Eid geleistet und ich werde alles, wirklich alles in
meiner Macht stehende tun, um Traian ein lebenswertes Leben zu
ermöglichen.« Sie brauchte einen Plan, um Victor von Traian
fernzuhalten. Er durfte ihn nicht töten.
»Natürlich.«
Victor atmete tief. Er öffnete noch mal den Schrank, vor dem sich
die Blutspuren gehäuft hatten. »Luca war nackt und der Schrank ist
leer. Für mich stellt sich die Frage, war er das auch schon, bevor
jemand hier Kleckse verteilt hat?«
Liana war noch mehr
als Victor daran interessiert, Traian zu finden. Sie musste mit ihm
zusammenarbeiten. »Das kann ich herausfinden. Welche Nummer steht
drauf?« Victor sah auf die Schranktür. »Die Vier.« Zehn Minuten
später stand ein aufgebrachter Pfleger vor jenem Schrank und fluchte
über das Verschwinden seiner neuen Kleidung, die nicht mal zwölf
Stunden alt gewesen war.
Victor setzte alle
Hebel in Bewegung, um Lu Hong Sung zu finden. Er sollte keine
Gelegenheit haben, Luca zu quälen. Als Erstes rief er Sergiu an, der
wiederum seine beiden Detektive aus dem Bett klingelte, um Lu Hong
Sung beschatten zu lassen. Victor kümmerte sich danach um Liana. Sie
sah wirklich sehr mitgenommen aus. Nächtelang war sie Luca nicht von
der Seite gewichen. Sie brauchte jetzt dringend Schlaf. Als Victor
sie nach Hause fuhr, hatte sie zu protestieren versucht, sie könne
doch nicht Schlafengehen. Zu sehr sorgte sie sich um Luca. Victor
beruhigte sie. »Die letzten Tage hast du dich so sehr um Luca
bemüht, während ich mit Sergiu tatenlos daneben saß. Nun sind wir
an der Reihe und du ruhst dich aus.« Die Suche nach Luca schien wohl
nie zu enden, nur diesmal gab es Hinweise, Namen und Adressen.
»Victor?« Liana
schluckte, wirkte völlig fertig. »Bitte. Was auch passiert, du
musst mir etwas versprechen.«
Einem Menschen etwas
versprechen, das lag ihm gar nicht so. »Und das wäre?« Sie schaute
ihm direkt in die Augen. »Gib mir die Möglichkeit, mich von Traian
zu verabschieden. Bitte!«
Das konnte nicht ihr
Ernst sein. »Du weißt, was du da von mir verlangst?«
Nein, dafür war er
nicht bereit. Luca musste schnell erlöst werden.
»Ja. Das weiß
ich.« Sie presste kurz die Lippen aufeinander. »Bitte!« Er spürte
ihre zarten Lippen auf seiner Wange und es schien ihm wie ein
magischer Hauch von Zärtlichkeit. Wie gut das tat. Diese Geste der
Zuneigung verdeutlichte ihm, dass er Liana nicht enttäuschen durfte.
»Ich werde mein
Bestes tun.« Er sah Liana in die roten Augen. Mit Leichtigkeit hätte
er sie um den Finger wickeln, dabei in Tiefschlaf schicken können,
doch er wollte fair zu ihr sein. Durch die gemeinsame Zeit der
letzten Tage und Wochen hatte er sie in sein Herz geschlossen. Sie
würde auch ohne seine Hilfe jeden Moment von selbst umfallen. Er
verabschiedete sich von Liana, ging dann die Treppen hinunter. Jetzt
musste er sich auf Lu Hong Sung konzentrieren. Nur zwei Stunden
blieben ihm bis zum Sonnenaufgang.
Unverrichteter Dinge
musste Victor bei Morgengrauen nach Potsdam in Sergius
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