Fluegel der Dunkelheit
geheimnisvoll, als wolle er
nicht alles über sich preisgeben. Zwischen den Strähnen waren ihr
diese megalangen dichten Wimpern aufgefallen und dann seine
verführerischen Lippen, von denen sie sich jetzt so gern küssen
lassen würde. In ihren lebhaften Erinnerungen hörte sie seine raue
Stimme, die leisen Worte, die er ihr mit auf den Weg gab.
Nein, Traian wirkte
nicht nur geheimnisvoll, er war es. Sein Auftreten verriet etwas
Würdevolles, etwas Majestätisches. Liana dachte daran, wie er
Klingberger fertiggemacht hatte, das beeindruckte sie noch immer. Wie
geborgen, wie sicher musste man sich an seiner Seite fühlen. Vor
Klingberger brauchte sie sich zurzeit nicht fürchten, der befand
sich in Traians Gewalt, aber was er wohl mit ihm anstellen wird?
Liana fiel ein, wie Klingberger von einer gemeinsamen Zeit mit Traian
sprach, obwohl er nicht wusste, wie er hieß. Sie bemerkte, wie sie
darüber den Kopf schüttelte. Das war zu merkwürdig. Wenn man mit
jemandem zusammenarbeitete, kannte man doch den Namen und wenn es nur
der Vorname war.
Ja, Klingberger
konnte einem gut das Gefühl vermitteln, ein Niemand, ein Nichtsnutz
zu sein. Vermutlich hatte er Traian ignoriert. Bettina erzählte ab
und zu ganz entzückende Geschichten über Klingberger.
Bettina! Noch immer
war sie unerreichbar. Liana versuchte wenigstens drei Mal am Tag, sie
auf dem Handy zu erreichen. Vergeblich. Klingberger, dieser Mistkerl,
er hatte Bettina möglicherweise verschleppt und eingesperrt, um den
Aufenthaltsort von Veit zu erfahren. Vielleicht war Traian ihm auf
die Schliche gekommen. Bestimmt war er ein Polizist. Augenblicklich
waren sie wieder da, ihre wachen Erinnerungen an Traian, an den
geheimnisvollen Glanz in seinen Augen. Wie sollte sie ihn
wiedersehen? Sie konnte ja schlecht jedes Mal in den Wald gehen, um
ihn zu treffen. Jetzt musste sie aber mal auf andere Gedanken kommen,
weg von Traian, von Klingberger, von Bettina. Im morgendlichen
Fernsehprogramm suchte sie Ablenkung. Sie schaltete die Kanäle rauf
und runter, ohne wirklich hinzusehen. Nichts war interessant genug,
um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. So schien es mehr zufällig, als
sie jene Frau aus dem Café gestern, dort in einer Szene erkannte.
Liana kam es vor, als würde die Frau sie direkt ansehen. Wieder
öffnete sie die Lippen.
»Ich brauche deine
Hilfe, du hast ihn gefunden. Nur du kannst ihm helfen!«
Das war zu verrückt.
Die zahlreichen Nachtdienste, ihre Erschöpfung zeigten nun ihre
Auswirkungen. Sie drehte durch. Liana schloss kurz die Augen. Ganz
ruhig. Das sind nur überspannte Nerven. Sie drückte den Knopf der
Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten. Einen Moment starrte
sie auf die dunkle Mattscheibe, vergewisserte sich, dass ihre
Einbildungen fort waren.
Plötzlich zuckte
sie beim Klingeln zusammen. Wie wachgerüttelt schaute sie zur Uhr.
6:27 Uhr. Wer sollte sie um diese Zeit am Freitag aufsuchen? Ein
heftiges Unwohlsein in der Magengegend machte sich breit.
Ungewöhnlich laut pochte ihr Herz, als sie zur Tür ging. Über die
Gegensprechanlage fragte sie, wer dort sei. »Bettina«, klang leise
eine Stimme über den Lautsprecher. Reflexartige betätigte Liana den
Türöffner und riss die Wohnungstür auf.
Endlich ein
Lebenszeichen. Augenblicklich spürte sie ihren rasanten Herzschlag.
Als Bettina die Stufen langsam hochkam, nicht wie sonst mit ihren
schnellen Schritten, bemerkte Liana, wie angespannt sie lauschte, wer
da wirklich käme. Dann sah sie Bettina.
»Oh, Gott!
Bettina!« Die ganze Zeit über hatte sie sich um Bettina gesorgt,
aber dass es so schlimm ausgehen könnte, das hatte sie nicht
gedacht. »Komm rein.«
Bettina verbreitete
einen stechenden Geruch. Ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen,
dazwischen erkannte Liana zahlreiche Blutergüsse und Schürfwunden.
Dunkle Ränder umrahmten ihre roten Augen.
»Mein ... mein
Bruder ist tot.« Ihre Stimme klang heiser. »Nun drohen sie meine
Mutter zu töten, wenn ich Veit nicht ...« Bettina brach in Tränen
aus. Liana nahm sie in den Arm, um ihr das Gefühl von Geborgenheit
zu vermitteln. Dann hatte Bettina also doch Familie, aber warum gab
es in der Personalakte keinen Vermerk?
Merkwürdig.
Womöglich hatte sie sich mit ihrer Mutter zerstritten. Ob
Klingberger nur blaffte und der Bruder gar nicht tot war? Dieser
ganze Aufwand, diese Demütigung, nur um ein krankes Kind zu
bekommen? Das war zu verrückt. Jetzt hatte erst mal Bettina Vorrang,
sie gehörte in ärztliche Behandlung und
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