Fluegel der Dunkelheit
die Polizei einzuschalten,
war längst überfällig.
»Was haben sie nur
mit dir gemacht?« Obwohl Liana ahnte, was passiert war, musste sie
es doch von ihr selbst hören. Bettina löste sich aus der Umarmung,
Ihr Gesicht vergrub sie hinter ihren Händen.
Fünf Anläufe
benötigte sie, bis sie sprechen konnte. »Sie haben mich in einem
Keller eingesperrt.« Sie schluchzte zwischendurch, »wollten wissen,
wo Veit steckt. Mario hat mich ...« Ihre Stimme brach. Sie weinte
bitterlich. Bettina brauchte das Wort ›vergewaltigt‹ nicht
aussprechen. Liana kannte Mario nur als Arbeitskollegen, doch das
reichte aus.
»Du musst jetzt
endlich zur Polizei gehen, Bettina.« Liana fasste sie bei den
Oberarmen.
»Das geht nicht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber natürlich geht das. Schreckliche
Dinge geschehen hier, wie lange willst du diese Verbrecher denn noch
decken?« Sie musste Bettina auffordern, diese Sache zu beenden.
»Du hast ja keine
Ahnung, worum es tatsächlich geht.« Bettina schluckte, suchte einen
Anfang. »I... ich habe vor einiger Zeit einem Team angehört, ...
ich kann es dir nicht erklären.« Ihr Körper zitterte.
»Bettina! Ich
möchte dir helfen. Aber wie soll ich dich und Veit unterstützen,
wenn ich nicht weiß, was hier los ist?«
Bettina wirkte
plötzlich wie ausgewechselt, fragte mit fester Stimme: »Wo ist er?«
»Er ist in
Sicherheit, mach dir keine Sorgen um ihn.«
Sie sprach sehr
laut. »Liana! Sie haben meinen Bruder getötet und nun soll meine
Mutter sterben. Das kann ich nicht zulassen. Für diesen Bastard
werde ich nicht meine ganze Familie opfern.«
Häh?
Woher kam dieser
überraschende Wandel? »Er ist dein Sohn. Wie kannst du nur über
ihn so reden?« Andererseits stand Bettina unter enormer Anspannung.
Ihr Verhalten zeigte menschliche Reaktionen. Liana war entschlossen
nicht nachzugeben, dazu empfand sie zu viel für Veit.
»Was weißt du
schon? Wo ist Veit?« Bettina kam nah an sie heran. Liana wich ein
Stück zurück.
»Vor fünf Tagen
hast du mich angefleht, Veit in Sicherheit zu bringen. Man würde ihm
weh tun. Und jetzt verlangst du, dass ich zulasse, ein anämisches
Kind zu quälen? Du musst endlich zur Polizei gehen.«
Bettina hob beide
Hände in die Luft. »Veit ist nicht anämisch. Er ist ...« Ihre
Aussage blieb wieder unvollendet.
»Nein, natürlich
nicht. Er bekommt nur zum Spaß regelmäßige Bluttransfusionen.«
Bettina hatte viel durchgemacht, sie brauchte einen Lichtblick. »Du
wirst jetzt ein Bad nehmen. Ich gebe dir was zum Anziehen und dann
sehen wir weiter, in Ordnung?«
Kreischend, wie eine
hysterische Geisteskranke, stürzte sich Bettina auf sie.
Ihr Rücken
schmerzte.
Es vergingen drei
Atemzüge, bis Liana begriff, dass sie auf dem Boden lag, über ihr
Bettina. Sie krallte sich in ihre Haare, zerrte daran, begann zu
kratzen und zu beißen. Nur mit größter Anstrengung gelang es
Liana, sich zu wehren. Sie rollten wie ein verhäkeltes Knäuel über
den Teppich. Mal war Liana oben, mal Bettina.
»Du musst mir
sagen, wo Veit ist«, kreischte Bettina. Liana sah keinen anderen
Ausweg. Sie rammte mit aller Kraft ihr Knie Bettina ans Schambein.
Bettina schrie, dabei klang es nach einer Mischung aus Wut und
Schmerz. Liana presste Bettinas Handgelenke auf den Boden, kniete
sich auf ihre Schenkel.
»Du brauchst Hilfe,
Bettina. Du drehst gerade völlig durch.«
Bettina spuckte
Liana ins Gesicht. Das reichte jetzt. Mit ihrer geballten Faust
schlug sie Bettina auf den linken Wangenknochen.
Ende.
Bettinas Körper
erschlaffte. Bewusstlos blieb sie auf dem Boden liegen. Liana stürzte
zum Telefon, um einen Krankenwagen zu rufen. Sie gab an, ihre
Freundin habe einen Nervenzusammenbruch, sei vermutlich mehrfach
vergewaltigt worden. Es dauerte keine zehn Minuten, bis der
Rettungswagen vorfuhr und die Sanitäter die Wohnung betraten.
Unterdessen kam Bettina langsam zu sich, doch sie wirkte nicht
wirklich bei sich. Ohne auch nur einen Ausdruck im Gesicht zu
vermitteln, sich zu wehren, ließ sie sich auf die Liege schnallen
und abtransportieren. Liana fühlte sich schrecklich, fast ein wenig
schuldig, obwohl sie dafür keinen Grund fand. Diese ganze Geschichte
mit Veit, Bettina und Klingberger zerrte doch sehr an ihrem
Nervenkostüm. Gut, dass sie den Krankenwagen gerufen hatte, denn im
Krankenhaus konnte man ihr bestimmt am besten helfen, ihr
Gleichgewicht wieder zu finden. Kurz darauf wurde sie von der Polizei
vernommen. Sie wollten natürlich wissen, warum
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