Fluegel der Dunkelheit
Papierseiten wurden vom Wind erfasst und flogen
von Sergius Schreibtisch, verteilten sich flatternd durch die Luft.
Als Victor die Tür zuzog, senkte sich das Wirrwarr aus Papieren auf
den Boden. Liana beugte sich nach unten, um einen Zettel aufzuheben.
Beim Ablegen des Blattes stutzte sie, Sergiu konnte es deutlich
sehen.
»W ... was ist
das?«
Mist!
Die Namen auf dieser
Liste waren ihr vermutlich nicht unbekannt. Ausgerechnet dieses Blatt
musste ihr vor die Füße fallen. Sergiu sammelte die anderen Papiere
hastig ein, dann schloss er das Fenster. Die junge Frau steckte
sowieso schon mitten in dieser Geschichte. Sie da raus zuhalten, war
unmöglich, eigentlich auch überflüssig. Aber wie sollte er ihr die
Sache erklären, ohne das Wort ›Vampir‹ in den Mund zu nehmen?
»Diese Personen
gehörten einem medizinischen Team an, die Versuche durchgeführt
haben.« Die Erkenntnisse der letzten Tage wühlten ihn sehr auf.
»Versuche? Was für
Versuche?« Liana runzelte die Stirn. Das sah niedlich bei ihr aus.
Sergiu musste tief
Luft holen. »Wissenschaftliche Untersuchungen, Experimente an
lebenden Objekten.« Die Aufzeichnungen hatten schreckliche Bilder in
seiner Fantasie entstehen lassen, die er nicht mehr aus dem Kopf
bekam. Das Gesicht der Ärztin wirkte für den Moment wie erstarrt.
»Veit?«, flüsterte
sie.
Er nickte. »Ich
vermute es.«
Liana fasste sich
ans Kinn, murmelte etwas vor sich hin, das wie, »sich dafür
hergegeben« klang.
Dr. Majewski war
nicht auf den Kopf gefallen, sie würde jetzt viele Fragen stellen,
damit sah Sergiu das Problem auf sich zukommen.
»Aber worum ging es
in diesen Versuchen? Was hat das Team bezwecken wollen?« So
aufgeschlossen die junge Ärztin auch wirkte, die Wahrheit würde sie
nicht billigen, nicht heute.
Sergiu knetete seine
Hände ineinander, er sah sie an. »Veit darf niemals in ihre Gewalt
gelangen. Niemals!«
»Ein anämisches
Kind für Versuche? Es gibt hundert andere, warum gerade Veit?« Sie
stand auf. »Worum geht es Klingberger wirklich?«
Sergiu war
überzeugt, dass die Wissenschaftlerin in ihr, bei dem ersten Wort
über Vampire die Flucht ergriff. »Wenn Sie nicht schon längst in
dieser Sache mit drinstecken würden, dürfte ich gar nichts
erzählen.« Sergiu überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Diese
junge Frau war nicht umsonst gekommen. Es gab eine wichtige Aufgabe
für sie, wenn er auch noch nicht richtig wusste, welche. Er erzählte
ihr kurz vom Verschwinden der Familie Constantinescu. »Gestern
öffnete ich wegen des Todes eines meiner Klienten ein bedeutendes
Päckchen. Darin befanden sich Unterlagen, die uns über den Verbleib
genau dieser Familie aufklären. Nicolae und seine Frau Alina wurden
im Zuge medizinischer Versuche zu Tode gequält.«
Dr. Majewski wich
die Farbe aus dem Gesicht. Sie wirkte erschüttert, ließ sich auf
die Couch sinken. »Das ist ja entsetzlich.«
Sergiu griff nach
den drei Pässen, die einzigen Zeugnisse, dass diese Familie
existiert hatte. »Ja, das ist es.« Er legte die roten Ausweise, mit
der goldenen Aufschrift ›Romania‹ auf den Tisch. Unterhalb des
Schriftzuges war ein Wappen mit einem Adler abgebildet. In der einen
Kralle hielt der Vogel ein Schwert, in der anderen ein Zepter und das
heilige Kreuz im Schnabel. Unter dem Wappen stand das Wort
›Pasaport‹. »Ich vermute, um diese Beweise zu vernichten, musste
meine Kanzlei dran glauben. Schlimmer dabei ist allerdings, der Tod
meines Klienten Matthias Gartetzky. Er war im Besitz dieser Pässe
sowie wichtiger Aufzeichnungen über die Untersuchungen. Ohne seinen
Tod hätte ich niemals diese Unterlagen geöffnet.« So grausig der
Fund der Leiche in seiner Kanzlei war, so hatte das Unglück auch
eine positive Seite. »Seit sieben Jahren versuche ich, den Bruder
eines rumänischen Landsmannes ausfindig zu machen. Sieben Jahre lang
führte ich eine beinah aussichtslose Suche und dann plötzlich
scheint es so, als würden die Fakten den Weg zu mir finden. Nicht
zuletzt Ihr Erscheinen ist ein wichtiger Bestandteil des Puzzles, das
nun ein Bild ergibt.« Sergiu trank einen Schluck Wein. Dieser
bewegende Moment, als er die Pässe zwischen den Unterlagen
entdeckte, war wieder präsent.
Frau Dr. Majewski
schluckte auffallend. »Dann hatte Bettinas Bruder Kenntnis von den
Versuchen?«
»Ob damals schon
oder erst kürzlich, kann ich nicht sagen. Er hat die zerrissenen
Aufzeichnungen teilweise zusammengeklebt. Sie sind auch nicht
vollständig, aber die
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