Fluegel der Dunkelheit
geraschelt.
»Lia, Lia!«
Liana
lachte. » Guten Morgen Veit.« Er streckte seine kurzen
Ärmchen nach ihr aus. Liana musste ihn auf den Arm nehmen, das ging
gar nicht anders. Innig kuschelte sich Veit an Liana, als wäre sie
seine Mutter. Frau Sperling bereitete unterdessen den Frühstückstisch
und ließ Hannah schlafen. Liana staunte über sich, wie viel sie von
der selbstgemachten Wurst, von dem frischen Käse und dem leckeren
Rührei verdrücken konnte. Diese nette Gesellschaft war daran
bestimmt nicht ganz unschuldig. Das war hier wie im Urlaub. Nach dem
guten Frühstück fand Liana jede Menge Ablenkung, die all ihre
Sorgen davon trieben. Sie mistete den Pferdestall aus, fütterte die
Hühner und half beim Beet umgraben. Erst gegen zehn tauchte Hannah
in ihrem Rollstuhl auf dem Hof auf. Ihr Gesicht sah blass aus. Dunkle
Augenränder ließen erahnen, wie sie sich fühlte. Sie hatte noch
immer Schmerzen, aber kein Fieber mehr. Vermutlich ging die
Entzündung langsam zurück, das Antibiotikum schlug demzufolge an.
Aber eine Bluttransfusion kam in keinem Fall in Frage.
Liana fegte gerade
Hannahs Wohnung aus, suchte dabei nach einer Möglichkeit, was sie
unternehmen sollte, wenn es Veit jetzt schlecht gehen würde. Bevor
ihr die Lösung einfiel, unterbrach ein lautes Geschrei die Ruhe. Es
kam eindeutig aus dem Stall. Liana lehnte den Besen gegen die Wand
und ging auf den Hof.
Herr Sperling hörte
sich ungewöhnlich wütend an. »Gibst du das sofort her?« Ein
protestierendes Schreien klang unverkennbar nach Veit. »Das ist doch
kein Spielzeug. Gib es mir!« Offensichtlich hatte Herr Sperling
keinen Erfolg. Veit kreischte, als ob es um sein Leben ging. Liana
eilte zum Stall. »Verdammt noch mal! Gib es mir zurück.« Veit
stand mit dem Rücken zur Wand. Er sah Herrn Sperling mit einem
verächtlichen Blick von unten her an. Er hielt etwas Rotes in seinen
Händen.
Liana stockte der
Atem. Blut quoll zwischen den kleinen Fingern hervor und rann am
Handrücken herunter.
»Was ist passiert?«
Herr Sperling sah auf. Seine Pupillen waren geweitet, seine
hektischen Flecken im Gesicht verrieten seine Wut.
»Dr. Majewski. Ich
... ich hätte Veit nicht mitnehmen dürfen. Ich bereite das
bestellte Spanferkel vor. Veit hat sich an die Schüssel mit den
Innereien herangeschlichen.«
Liana schwenkte
ihren Blick auf Veit, der genüsslich an dem roten Ding in seinen
Händen zu lutschen begann.
Ein Hammer schien
auf Lianas Schädel aufzutreffen.
Sie spürte, wie ihr
Unterkiefer mit jedem Atemzug weiter nach unten fiel. Der
Vampirgedanke war lebendiger denn je.
»Nun sehen Sie sich
den Bengel an. Ausrechnet das Herz hat er sich stibitzt. Das ganze
Blut, meine Frau wird einen Schreianfall bekommen.«
Liana konnte
plötzlich kaum atmen. Ihre Brust fühlte sich wie zubetoniert an.
Ihre restlichen Zweifel bröckelten wie der marode Putz einer Ruine.
Veit war ein
zweijähriger Blutsauger!
Eines Nachts würde
er über seine Mitmenschen herfallen und das Blut aus ihren Adern
saugen. Dieser Victor, er hatte die Wahrheit gesagt und sie hatte
auch noch darüber gelacht. Sie hatte den Mann nicht ernst genommen,
ihn sogar für einen Verrückten gehalten. Liana befühlte ihren
Hals. Da war kein Biss, keine Wunde. Andererseits hätte sie das
nicht auch mitbekommen müssen? Die Sache mit ihrer Telefonnummer war
ihr ja auch entgangen.
Sie hastete vom Hof.
Sie rannte über die Wiesen und lief durch den Wald. Bald lief sie
langsam weiter. Davor wegzurennen war zwecklos. Die Beweise lagen zu
klar auf der Hand. Sie musste die Existenz von Vampiren akzeptieren.
Sollte Alina wahrhaftig eine Vampirfrau gewesen sein? Aber wenn das
stimmte, dann hatte der Rechtsanwalt sicher auch recht, was ihre
eigene paranormale Begabung anging. Sie konnte tatsächlich Geister
sehen.
Und Veit? Sein
Instinkt nach blutiger Nahrung sprach für sich. Womöglich brauchte
er dafür keine Bluttransfusion.
Nein! Ihr
medizinisches Wissen meldete sich zu Wort. Eine Ernährungsumstellung,
auch wenn in diesem Fall ein wenig ungewöhnlich, war kein Ersatz für
eine Bluttransfusion. Zudem waren Vampire lichtempfindlich. Sie
mieden das Sonnenlicht. Weder das schien Veit etwas auszumachen, noch
besaß er die typischen Reißzähne. Andererseits fehlte ihr die
Kenntnis über Vampire, welche Behauptungen über sie zutrafen und
was der Fantasie der Menschen entsprungen war. Lediglich aus Büchern
und Spielfilmen kannte sie Vampire. Aber dass diese Erzählungen der
Wahrheit, der
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