Fluegel der Dunkelheit
hier in einem
Wendekreis. Als Liana ihren Wagen wendete, entdeckte sie noch weitere
Gebäude Richtung Wald, bei denen die Fenster nicht versiegelt worden
waren.
Da! Hinten neben der
Tanne, da stand doch jemand! Die Neugier wuchs in ihr. Sie parkte das
Auto unter einer Straßenlaterne und drehte sich zu Veit um. Wie
niedlich er beim Schlafen aussah, einfach zum Knuddeln. Ihn zu
wecken, brachte sie nicht fertig, vermutlich würde er es nicht
bemerkten, wenn sie für fünf Minuten weg war. Leise öffnete sie
die Autotür, nahm ihre Taschenlampe und drückte die Tür von außen
vorsichtig zu, dabei sah sie zu Veit. Er schlief ganz fest. Liana
stieg über den maroden Zaun, um auf die Tanne zu zugehen. Jetzt sah
sie niemanden.
Sie musste die
Möglichkeit in Betracht ziehen, mal wieder nur einen Geist gesehen
zu haben. Sie wollte nur einmal um das Haus herumgehen und bloß kein
Risiko eingehen. Schnell würde sie zum Auto zurückkehren. An der
Nordseite des Gebäudes fand sie eine aufgebrochene Tür und anhand
der Spuren auf dem schmutzigen Boden erkannte sie, dass sie nicht der
erste Besucher war. Liana spürte ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem
Körper, von dem sie mehr brauchte. Einen Blick hineinwerfen, sehen,
welche Funktion dieses Haus einmal hatte, half vermutlich weiter, die
ganze Geschichte besser zu verstehen. Unheimlich hallten ihre
Schritte auf dem leeren Flur wieder. Mit dem Eingang im Rücken blieb
Liana nach mehreren Metern vor einem Steinhaufen stehen. Vor nicht
allzu langer Zeit musste hier jemand diese gemauerte Wand eingerissen
und damit die Stufen in einen dunklen Keller freigelegt haben. Liana
hörte ihr Blut in den Adern rauschen, ihren rasenden Herzschlag. Sie
folgte dem Lichtschein ihrer Taschenlampe die Treppe hinunter. Fünf
Schritte nach der letzten Stufe blieb sie in einem Türrahmen stehen.
Vor ihrem geistigen
Auge sah sie einen kleinen Operationssaal. Der Anblick erinnerte sie
an eine Projektion, an einen Film und doch sah sie alles
dreidimensional. Unter dem Ärzteteam entdeckte sie Bettina und
Klingberger in OP-Kleidung. Ein junger Patient lag nackt auf dem
OP-Tisch mit Lederriemen gefesselt. Über beiden Augenlidern lagen
zwei schmale, über seinem Mund ein breiter Klebestreifen. Ein
Schlauch, der Speichel abzusaugen schien, ragte aus der Mitte des
Streifens hervor.
Liana spürte, wie
ihr Mund trocken wurde. Sie erkannte eine Drainage, die an einer
ungewöhnlichen Stelle Blut herausführte. Für den Magen lag die
Eintrittsstelle zu tief. Es sah hier nicht nach einer gewöhnlichen
Untersuchung aus. Sollte sie den Keller entdeckt haben, wo einst die
Versuche durchgeführt worden waren, von denen der Rechtsanwalt
gesprochen hatte?
Aber wozu diente
diese Drainage? Einer der Ärzte, die Liana nicht kannte, bohrte mit
einer Pinzette sowie einem scharfen Löffel brutal in einer blutenden
Wunde am rechten Oberarmknochen des Jugendlichen herum, der sichtlich
keine örtliche Betäubung bekommen hatte.
Der Arzt schaute
kurz auf zu seinem Kollegen. »Die Kugel steckt zu tief im Knochen.
Ich denke hier reicht eine schlichte Wundversorgung. Eine Entfernung
wäre zu aufwendig.« Der gefesselte Patient ächzte dumpf unter dem
Klebeband sogar Tränen quollen in den äußeren Augenwinkeln hervor.
Liana glaubte, seine
Empfindungen deutlich spüren zu können. Es war furchtbar.
»Und der Einschuss
am linken Schulterblatt?«, fragte Bettina, die um einiges jünger
aussah, als heute.
»Da hier vorne
nichts zu sehen ist, handelt es sich um keinen Durchschuss.« Der
Arzt legte seine Instrumente auf das Tablett. »Er erscheint mir
ziemlich fidel. Die Lunge ist mit Sicherheit unverletzt. Das zweite
Geschoss wird vermutlich ebenfalls im Knochen steckengeblieben sein.
Das scheint mir ein echter Glückspilz zu sein.« Er streifte seine
Latexhandschuhe ab. »Wir haben uns lange genug mit dem anderen
Objekt befassen müssen.« Der eine Mediziner sprach mit russischem
Akzent. »Ich denke, wir sollten für heute Schluss machen.«
Liana konnte nur
schwer atmen. Sie sah diese Szenen und wusste doch, dass die Bilder
nicht real waren. Wie benommen ging sie weiter.
Ihr stockte der
Atem. Im nächsten Zimmer hing der Patient an der Wand, mit zur Seite
ausgestreckten Armen, wie früher Leute im Kerker, wenn sie
ausgepeitscht werden sollten, nur hielten ihn hier Lederriemen fest.
Sein Rumpf war über der Hüfte, über den Rippen und über der
Taille an der Wand eng fixiert. Während zwei Ärzte zu beiden Seiten
standen,
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