Fluegel der Dunkelheit
Bodenlosigkeit zu
stürzen, so wie in ihren Träumen. Ihre Position änderte sich,
jetzt fiel sie mit den Füßen zuerst nach unten, die Bäume wurden
dunkler, verschmolzen mit der Finsternis, die sie umgab.
Ein heftiger Ruck
durchfuhr sie. Auf einmal spürte sie sich über trockenes Laub
schleichen. Es war Nacht. In einem rötlichen Licht getaucht erkannte
sie ihre Umwelt, als schaue sie durch eine Infrarotkamera. Vor ihr
auf einer kleinen Lichtung tauchte ein Reh auf. Ein merkwürdiges,
lebendiges Pulsieren erfüllte ihren Körper. Ein Gefühl, was ihr
vollkommen fremd war, sich aber doch großartig anfühlte. Das Reh
scharrte im herbstlichen Laub nach Nahrung. Mit einem unglaublichen
Sprung, zudem sie unter normalen Umständen niemals in der Lage
gewesen wäre, flog sie auf das Tier zu. Ihre Hände packten es am
Hals. Gleichzeitig spürte sie erneut diesen stechenden Schmerz am
linken Schulterblatt, diesmal reißender, dann folgte der zweite
massive Schmerz im Oberarm. Ihre Knie gaben nach und sie fiel zu
Boden. Das Reh entkam.
Ihr Herzschlag
dröhnte in den Ohren, dabei bemühte sie sich, aufzustehen. Für
einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen.
»Nun sieh dir das
an.« Ein Mann kniete über ihr, hatte ihren Kopf zwischen seine
Schenkel gepresst und schob ihre Lippen nach oben. »Ein blutjunger
Vampir. Schnell, gib mir einen Kugelschreiber.« Zwei weitere Männer
standen neben ihr, von denen einer, dem Schenkelpresser den
verlangten Stift reichte. Liana wehrte sich, doch ihre Verletzung
behinderten sie zu sehr. Ehe sie begriff, was der Kerl mit dem
Kugelschreiber vorhatte, spürte sie einen Ruck, gleichzeitig einen
mörderisch reißenden Schmerz zwischen den linken Rippen, der sich
schlimmer als alles bisher da gewesene anfühlte. Sie hörte sich
aufschreien. In der Ferne vernahm sie eine Männerstimme.
»Luca?« Der
Schenkelpresse bohrte in der Rippenwunde herum. »Ein Vampir kommt
selten allein.« Es tat höllisch weh, die Luft blieb ihr vor Schmerz
weg.
»Seht her! Ihr
müsst die Schreibspitze abbrechen und das Röhrchen vom
Kugelschreiber gut zwei Drittel in die Milz schieben.« Es fühlte
sich eher an, als würde er den gesamten Bauch durchstechen. Sie
hörte ihr Stöhnen.
»Mit dem
herauslaufenden Blut verlieren sie auch ihre übermenschlichen
Kräfte.« Der Mann presste seine Schenkel zusammen, dass ihr der
Kopf schmerzte. »Ich kenne da einen Typen, der bezahlt für lebende
Vampire ein hübsches Sümmchen. Ich kümmere mich um den hier. Ihr
schnappt euch den anderen. Schießt auf die Extremitäten, ihre
Organe dürfen nicht verletzt werden.«
Das Rufen kam näher.
»Luca?«
Liana hörte sich
mit einer fremden Stimme brüllen. »Flieh, Vater! Flieh!« Nicht
weit von ihr entfernt fiel ein Schuss. Dann ein Zweiter und ein
Dritter. Ihr Peiniger drehte ihr die Hände auf den Rücken, was sich
nach einem mörderischen Reißen anfühlte. Langsam begannen sich,
die Symptome des Blutverlustes bemerkbar zu machen. Jede Faser ihres
Körpers fühlte sich empfindlich an. Ihre Handgelenke wurden
zusammengebunden. Sie bemerkte diese hinderliche Schwäche, die sich
anfühlte, als habe sie eine schwere Krankheit überstanden.
»Niemals in die
Augen eines Vampirs sehen. Am besten ich verbinde sie ihm.« Der Mann
führte sein Vorhaben aus, band ein Tuch über ihre Augenpartie. Dann
spürte Liana eine unangenehme Enge eines Stricks um den Hals, mit
dem man sie zum Aufstehen zwang, um sie mit dem Seil irgendwo
hinführte. Sie merkte das Blut aus den Wunden laufen, als es den
Rücken und den rechten Arm herunter ran. Am Rippenbogen nahm sie
kein Blut wahr, nur dieser beißende Druck, diese körperliche Qual,
die mit jedem Atemzug heftiger wurde. Das raschelnde Laub der
Schritte klang eigenartig laut. Deutlich konnte sie hören, wie
jemand ihnen entgegen kam.
»Vorn an der Straße
habe ich ein Wohnmobil gesehen. Günter wird sich das Ding ansehen.
Vielleicht gibt es ja noch mehr Blutsauger.« Die Stimme kam direkt
von vorn.
»Gut. Aber seid
vorsichtig.«
Der Mann stand
vermutlich nur einen Meter vor ihr.
»Seht ihnen nicht
in die Augen. Die Blutsauger könnten dich glatt dazu bringen, deine
eigene Großmutter zu erschießen.« Er lachte. Die Schritte durch
das raschelnde Laub entfernten sich. Liana wusste nicht, wie ihr
geschah. Ihr fremder Körper musste einen Satz nach vorn gewagt, dem
Mann anscheinend ins Kreuz getreten haben. Ein Ruck um den Hals warf
sie wieder zu Boden, schnürte ihr die Kehle zu. Sie
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