Fluegel der Dunkelheit
nicht zu«,
sie musste kurz schniefen, »aber ihm geht’s richtig dreckig. Sein
Gesicht ist schmal geworden, er hat sichtbar abgenommen und seine
Augen sind gerötet, überhaupt«, sie presste sich kurz die Hand
über den Mund. Sie zitterte, so bewegt war sie.
»Ganz ruhig Liana.«
Victor streichelte über ihren Arm. Seine Gesellschaft tat in dieser
Situation besonders gut.
»Sein Blick war so
... leblos. Hätte er mir nicht das Gegenteil bewiesen, würde ich
sagen, er ist blind.« Weitere Tränen liefen über ihr Gesicht. »Ich
weiß nicht, was ich tun soll! Je länger ich untätig bleibe, je
größer werden die Schäden an seinem Gehirn sein.« Sie durfte sich
gar nicht ausmalen, wie schlimm es schon jetzt um ihn stand. »Victor,
ich habe Angst um ihn.«
Victor nahm seinen
Arm zurück. »Darf ich das nun als Zeichen deuten, dass du uns um
Hilfe bittest?«
Liana nickte. »Ich
habe mir mehr Fortschritte erhofft. Die Symptome lassen mir aber
keine Zeit mehr, verstehst du? Sein Trauma ist zu groß, als dass ich
einen wirklichen Zugang zu ihm habe.«
Victor blies hörbar
seinen Atem aus. »Du gehst jetzt aber hart mit dir ins Gericht.«
Liana spürte, wie gut es ihr tat darüber zu reden.
»Nein. Als Frau
genieße ich sein Vertrauen, dessen bin ich mir sicher. Aber in dem
Moment, wo er die Medizinerin in mir sieht, blockiert er.«
Victor stand auf und
holte die Tageszeitung. »Ich denke, es ist an der Zeit, gemeinsam zu
arbeiten, Hand in Hand.« Mit einem triumphierenden Gesicht schlug er
die Blätter auseinander, um vorzulesen. »Am kommenden Samstag
werden im Berliner Adlon Hotel Auszeichnungen an fünf qualifizierte
Ärzte vergeben, die im wissenschaftlichen Bereich Sensationelles
geleistet haben.« Victor schaute kurz auf, lächelte Liana an, dann
faltete er die Zeitung wieder zusammen. »Unter anderem wird Prof.
Dr. Dr. med. Lu Hong Sung erwähnt und der dürfte dir etwas sagen,
nicht wahr?«
Liana nickte. Sie
fragte sich allerdings, worauf Victor hinaus wollte. Diesen Mediziner
noch zu belohnen für das, was er getan hatte, war paradox.
»Ich könnte meinen
linken Arm dafür verwetten, dass Luca sich dieses Ereignis nicht
entgehen lassen wird. Dort werden wir ihn uns schnappen.« Seine
Augen leuchteten, als er den Satz beendete.
»Schnappen?« Liana
stand erregt auf. Sie spürte einen dicken Kloß im Hals. »Was hast
du mit ihm vor?«
Victor sah sie an.
»Was denkst du denn? Du sagst, er braucht dringend Hilfe. Solange er
sie ablehnt, werde ich ihn dazu zwingen müssen.« Victor grinste.
»Aber keine Angst, ich werde meine Samthandschuhe anziehen. Und dann
kriegst du ihn auf einem Tablett serviert, um ihn von diesen
Implantaten zu befreien.« Mit Victors Aussage sah Liana plötzlich
ihren Traum vor Augen, der sie vor einigen Tagen aus dem Schlaf
gerissen hatte. Auf seiner Flucht vor Victor war Traian von einem
Auto erfasst worden.
»Und wenn er dir
entwischt? Wenn er vor Panik davon rennt und irgendetwas
Schreckliches passiert?« Dieser Traum dufte nicht Wirklichkeit
werden, von lebensbedrohlichen Verletzungen abgesehen, mit einem
solchen Zusammenstoß könnten die Implantate eine Katastrophe
auslösen.
»Was soll denn
passieren? Sag mal«, Victors Miene veränderte sich zu einem breiten
Grinsen, »dich hat es ganz schön erwischt.«
Liana senkte ihren
Blick, dabei spürte sie die leichte Hitze im Gesicht.
»Liana!« Victor
nahm ihre Hand »Du brauchst dich doch nicht dafür schämen, ihn zu
lieben. Das ist das Beste, was ihm nach all dem widerfahren kann.
Obwohl ich ein wenig traurig bin, dass deine Wahl nicht auf mich
gefallen ist.«
Liana bemühte sich
um ein Lächeln.
»Ich verspreche
dir, wir werden vorsichtig sein, in Ordnung?« Liana nickte. Sie
bekam dieses Bild mit dem Auto nicht aus dem Kopf, aber irgendetwas
musste jetzt unternommen werden.
Um an diesen Abend
freizubekommen, hatte Liana sehr viel Überredungskunst an ihren
Kollegen anwenden müssen. Veit war bei seiner Großmutter, Bettinas
Mutter. Liana fuhr zum wiederholten Mal um den Häuserblock am Hotel
Adlon und den vielen schick gekleideten Gästen vorbei. Sie sollte in
zweiter Spur halten, sobald Victor Kontakt zu Luca aufnahm. Victor
selbst hatte sich über den Hintereingang Zugang zur Veranstaltung
verschafft. Sergiu bezog vor dem Haupteingang Posten. Um sich
untereinander zu verständigen, trug jeder der Drei ein Headset bei
sich. Sergiu war allerdings auf eine Beschreibung von Luca auf Victor
angewiesen, denn das alte
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