Fluegel der Dunkelheit
er mit seinen Eltern noch zu Hause
in Rumänien gelebt hatte. Das war noch vor dem ›großen Abenteuer‹
wie es sein Vater damals nannte. Sein Onkel hatte regelmäßig
Vampirfeste veranstaltet, ähnlich diesem Event, nur viel
ungezwungener. Seine mentale Kiste schien sich heute nicht für ihn
zu öffnen. Lästige Fragen, wirre Gedanken schwirrten ihm im Kopf
herum. Lu Hong Sung stand auf einem entfernten Podest vor einer Masse
Zuhörer. Er dankte verschiedenen Leuten für ihre Unterstützung,
plapperte unwichtiges Zeug. Jetzt war der Moment gekommen. Traian
vergaß für einen Augenblick seine Beschwerden. Er schob sich durch
die Menschenmenge weiter nach vorn. Ein Blick zu Lu Hong Sung würde
reichen, ein winziger Blick, seitlich, damit er sehen konnte. Nur
wenige Meter vom Podest entfernt, spürte Traian die Anwesenheit
eines anderen Vampirs. Er war also nicht der Einzige hier. Seine
Konzentration lag ganz bei Lu Hong Sung. Jetzt schwenke Lu Hong Sung
einen flüchtigen Blick ins Publikum. Er wandte sich seinem
vorbereiteten Text zu, dann stockte er. Hong schaute auf, Traian
direkt in ins Gesicht.
Was für ein Moment!
Welch genüsslicher Augenblick! Traian spürte die Panik, die Lu Hong
Sung eine leichte Röte ins Antlitz trieb.
Ein Mann mit Headset
trat an die Seite des Mediziners. Er flüsterte. »Geht es Ihnen
nicht gut?«
»Doch ... doch.«
Lu Hong Sung stammelte, versuchte den Faden in seiner Rede wieder zu
finden. Traian meinte, den anderen Vampir deutlicher zu spüren. So
weit, wie es ihm möglich war, schaute sich Traian um. Der erstarrte
Blickkontakt des Mediziners konnte Traian vielleicht verraten haben.
Nur wenige Meter links von ihm entfernt drängte sich ein Mann durch
die Menge. »Du wirst jetzt warten«, forderte Victor.
Ausgerechnet dieser
Victor aus Popescu. Traian vergaß alle Höflichkeit, schubste jeden
aus dem Weg, der seinen Fluchtweg versperrte. Er erinnerte sich noch
lebhaft an den Kerl mit dem Mundschutz, der damit wie seine Peiniger
aussah. Er musste nicht herausfinden, was Victor wirklich von ihm
wollte. Jedenfalls nicht heute, wo es ihm ohnehin schon nicht
gutging. Am Hotelausgang versuchte ein Mann, ihn am Arm zu packen.
»Luca. Bleib stehen!« Mit einem wendigen Satz sprang Traian dem
Unbekannten davon. Hier waren also mehrere hinter ihm her.
Verdammt! Traian
rannte so schnell er konnte dort über die Straße. Plötzlich spürte
er einen harten Aufprall, wurde durch die Luft geschleudert. Es
gelang ihm aber noch rechtzeitig sich abzurollen, so landete er neben
dem Wagen auf seinen Füßen und sprintete weiter. Sein schwarzer,
wachsender Fleck nahm keine Rücksicht auf seine Situation. Traian
bog nach rechts in die Glinkastraße, dann wieder nach rechts auf die
Behrensstraße. Der Straßenlärm, die hörbaren Schritte der
Menschen, die klappernden Absätze klangen unangenehm laut. Er verlor
die Orientierung, wo musste er hin? Als Nächstes raste er nach links
in die Mauerstraße. Ihm war furchtbar schlecht, sein Magen fühlte
sich an, als wollte er sich umkrempeln. Unendlich lang schien ihm die
Straße, bis er wieder rechts abbog. Zwischendurch meinte er, er
würde Karussell fahren. Er blieb kurz stehen, drehte den Kopf zur
Seite, um mit seinem eingeschränkten Sehfeld nach vorn zu schauen.
Wie grell die Beleuchtung hier war. Da! Ein U-Bahneingang. Seine
Rettung, der Weg nach Popescu. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr.
Sein Laufen schien so mühsam, so anstrengend und er glaubte, über
seine eigenen Füße zu stolpern. Er musste weitergehen, durfte nicht
auf seine Verfolger warten. Im U-Bahnschacht konnte er sich ausruhen.
Es war nicht mehr weit. Vor sich erkannte er eine Bank auf dem
Bahnhof. Ein stechender Kopfschmerz ließ ihn erstarren.
Er hatte das Gefühl,
als würde ein Stück Metall seinen Schädel spalten. Der Druck
fühlte sich so mächtig an, dass seine Beine versagten und er
spürte, wie er auf die Knie sank. Er hörte sich stöhnen. Jeder
Lichtstrahl schmerzte wie ein mörderischer Schnitt im Auge.
Traian
L iana war zu
besorgt, um zum Schlafen nach Hause zu fahren. Sie musste mit
jemandem reden. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren, dass sie
Traian nicht mehr finden würde, wenn er sie am meisten brauchte. Es
ging ihm zunehmend schlechter, das war nicht zu übersehen. Sie fuhr
gleich weiter nach Potsdam zu Victor. Anfangs wusste sie ihre Sorge
nicht in Worte zu fassen. Als Victor seinen Arm um sie legte,
kullerten ihr die Tränen über die Wangen. »Er gibt es
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