Fluegel der Dunkelheit
Schweigen verunsicherte
ihn. Er bemerkte eine nicht kontrollierbare Hitze im Gesicht.
Endlich flüsterte
sie. »Küss mich.« Nichts tat er lieber. Er legte seine Hände auf
ihre Wangen, die er gerade noch erkennen konnte. Ihre warmen Lippen
zu berühren schenkte ihm ein Wohlbefinden, das bis zu seiner Seele
durchdrang. Er glaubte mit Liana zu verschmelzen, mit ihr eins zu
werden.
In dieser Nacht ließ
Traian seine beiden Gefangenen hypnotisiert frei. Auch ihr Schicksal
musste sich herumsprechen, und wie er von Liana erfahren hatte,
schien das ja ausgezeichnet zu funktionieren. Sein ganz spezieller
Peiniger, Prof. Dr. Dr. med. Lu Hong Sung, dufte also anfangen, seine
sorglosen Tage zu zählen.
Innerhalb von zwei
Tagen wuchs dieser schwarze Fleck weiter, bis über die Hälfte
seines Blickfeldes darin verschwand. Was sich direkt vor seiner Nase
befand, konnte Traian nicht sehen. Wiederholt musste er
stehenbleiben, weil seine Umwelt sich zu drehen begann. Ein sehr
hinderliches Phänomen. Von der ständigen Übelkeit abgesehen,
nahmen seine Kopfschmerzen wieder zu. An seiner Kleidung bemerkte er,
dass er auffallend abgenommen haben musste. Traian war bewusst, dass
er blutige Nahrung brauchte, um zu überleben, aber sein Magen
behielt einfach nichts mehr bei sich. Es war nur noch eine Frage der
Zeit, wann er unter seinen Beschwerden zusammenbrechen würde. Aber
lieber wollte er sterben, als sich in einem Krankenhaus die
Eingeweide zerstückeln zu lassen. Auch wenn Liana sein Vertrauen
genoss, niemand sollte ihm jemals wieder im Gehirn herumstochern.
Aber heute musste er noch durchhalten.
Ja, heute plante er
sich Lu Hong Sung zu zeigen, nicht mehr. Traian wusste, genau das
brachte den Mediziner aus der Fassung und dieses Ereignis durfte
Traian für nichts auf dieser Welt verpassen. Vor allem deshalb
nicht, weil Hong am Abend im Adlon Hotel in Berlin, als Spezialist
für Prothesen und Implantate eine Auszeichnung verliehen bekommen
sollte. Für seine grandiosen Fortschritte im Bereich der Mikrochip
Forschung, wie in der Zeitung stand. Ebenso erhielt Prof. Dr. med.
Günter Hartung eine Auszeichnung für seine bahnbrechende Arbeit,
der Gerinnungshemmung bei Schlaganfällen und Herzinfarkten.
Allerdings zweifelte Traian daran, dass Hartung in der Lage war, sich
einem solchen Ereignis zu stellen. Traian kleidete sich an diesem
Abend mit einem weißen Hemd, einem schwarzen Anzug sowie einer
weinroten Fliege. Seine Fledermausfreunde ließ er im Wald zurück.
Es lag ihm fern, sie in der Stadt in Gefahr zu bringen. Hier draußen
sah er sie in Sicherheit.
Auf dem Weg zum
Hotel dachte er an Mario Lehmberger, Bettina Gartetzky und Lu Hong
Sung. Er zweifelte, ob es ihm noch gelang, sich an den Dreien zu
rächen. Sein gestörtes Sichtfeld, sein zunehmend auftretender
Schwindel, erschwerte jedes Vorhaben. Doch was auch jetzt geschehen
würde, der Triumph sich Lu Hong Sung zu zeigen, bedeutete für ihn
eine Genugtuung, die ihresgleichen suchte.
Seit Tagen verfolgte
er Zeitungsberichte, die über die Arbeiten eines wissenschaftlichen
Teams berichteten. Ihre Forschung bewegte sich an den Schnittstellen
von Biologie und Mikrotechnologien. Von ihrem entwickelten
Neuro-Implantat, mit dem man zerstörte Nervenzellen überbrücken
konnte, erwartete man in der Medizin enorme Fortschritte. So könne
man mit den entwickelten neuronalen Netzen lokale Hirnschäden, etwa
nach einem Schlaganfall beheben. Auch Krankheiten wie Chorea
Huntington, Alzheimer und Epilepsie wären somit therapierbar. In
einem Artikel hatte Traian sogar von Manipulation der Gedanken und
Gefühlen gegen Depressionen durch biochemische sowie
elektromagnetische Eingriffe gelesen. Lu Hong Sung und Hartung wurden
in diesem Zusammenhang als die Wissenschaftler des Jahres erwähnt.
Was diese beiden Quacksalber auch an Traian getestet haben mochten,
es verursachte lediglich Schmerzen. Vermutlich erblindete er bald
völlig. Andererseits sorgte er sich mehr um seine Kraft, die mit der
fehlenden Nahrungsaufnahme stetig abnahm. Heute Nacht sollte er
vielleicht nach Popescu gehen. Ions Rotwein half ihm bestimmt wieder
auf die Beine. Vor dem Adlon Hotel organisierte er sich im Getümmel
der Leute eine Eintrittskarte. Die vornehm gekleideten Gäste, der
Glanz des Hotels, das überschwängliche Angebot am Büffet ließen
Traian unberührt. Er hatte ohnehin keinen Hunger, und wie er
feststellte, auch auf Rotwein keinen Appetit. Unerwartet überfielen
ihn Erinnerungen aus der Zeit, als
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