Fluegellos
tief ein und nickte schließlich. Der Stein, der sich gerade erst gelöst hatte, krachte wieder mit voller Wucht auf meine Brust.
Die darauf folgenden Sekunden – oder sogar Minuten – herrschte Stille. Ich lauschte Valentins Herzschlag, vertraute darauf, dass er so ruhig blieb, wie er jetzt war, und hoffte. Hoffte, dass er mich nicht anbrüllte. Hoffte, dass er nicht ging und mich einfach hier in der Kälte stehen ließ. Hoffte, dass ich nicht um Vergebung betteln würde wie ein kleines Kind.
Stattdessen spürte ich plötzlich warme Lippen, die sich auf meine Stirn legten.
»Du willst nicht, dass dieser Artikel veröffentlicht wird?«, flüsterte Valentin dicht an meinem Ohr.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, wisperte ich.
»Ich kann mit Emilia reden.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. »Sie wird dir nicht glauben. Sie wird dich anbrüllen und aus der Wohnung werfen. Und dann wird sie mit mir reden wollen, um sicherzugehen, dass du sie angelogen hast.« Ich war überrascht, wie gut ich diese Sätze formuliert bekam, ohne, dass mir die Luft ausging. »Ich möchte mit ihr reden. Dann mache ich zwischen euch nichts kaputt.«
»Was willst du da noch groß kaputt machen?«, fragte Valentin leise, schwieg dann aber. Er wusste, dass ich recht hatte.
»Was hast du dir davon erhofft?«, fragte er stattdessen.
Ich hob die Schultern. »Ich wollte provozieren«, murmelte ich. »Irgendjemanden provozieren, falls es jemanden gibt, der mein Boss ist.«
Valentin nickte langsam, fast verständnisvoll. »Und es hat nicht geklappt?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich … noch hat sich nichts ergeben. Und wenn nicht, dann habe ich umsonst Emilias Leben ruiniert.«
Valentins Brust bebte, als lachte er. »Mach dir keine Sorgen«, murmelte er. »Du konntest bei Emilia nichts mehr zerstören. Sie hat sich selbst zugrunde gerichtet.«
Ich erwiderte nichts, denn ich hatte das Gefühl, dennoch nicht unbeteiligt an der ganzen Sache zu sein.
»Ich habe einen guten Freund«, begann Valentin dann. »Er ist ziemlich durchgeknallt und studiert Religion, hat aber eigentlich von allem, was mit Seelen oder Nahtoderfahrungen zu tun hat, Ahnung. Seit er einmal bei der Bundeswehr fast von einer Granate zerfetzt worden ist, scheint ihn das Ganze sehr zu interessieren. Soll ich dir seine Adresse geben? Vielleicht kann er dir helfen.«
Ich hob die Schultern. Ich hatte so vieles versucht. Ich hatte mich mit einem Professor für Religion getroffen. Wikipedia studiert. Hunderte Bücher ausgeliehen und jedes einzelne bis aufs letzte Wort durchgekaut. Nichts von dem hatte geholfen.
»Einen Versuch ist es wert, oder?«, fragte er. Offenbar wusste er, wieso ich zweifelte. »Alex ist gut im Kombinieren. Er stellt Theorien auf, auf die nur wenige bis gar keine sonst kommen.« Er lachte leise. »Und einige von ihnen sind sogar gut.«
Ich seufzte und nickte schließlich. »Danke«, hauchte ich.
»Bitte sehr.« Valentin gab mich aus seiner Umarmung frei und lächelte mich warm an. »Ich habe dir garantiert, dass die Brücke nicht zusammenstürzen wird, während du auf ihr stehst«, sagte er, als wir uns wieder ansahen. »Und du kannst mir auch jetzt glauben, wenn ich dir sage, dass es für dieses Problem eine Lösung gibt.«
Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und nickte.
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
Ich nickte wieder und ließ zu, dass er wieder meine Hand nahm. Als wir uns umdrehten, spürte ich erneut dieses mulmige Gefühl in der Bauchgegend. Wie auf einer Schiffsschaukel. Aber ich hatte das Gefühl, es diesmal zu schaffen, ohne anhalten zu müssen.
»Auf dieser Liste gab es vier Punkte«, stellte Valentin fest, als wir langsam in Richtung der anderen Seite gingen. Ich blieb trotz meines Optimismus so weit von der Kante weg, wie möglich.
Ich nickte.
»Wofür stand der vierte Punkt? Er war leer.«
Ich nickte wieder. »Ich weiß.«
»Wieso?«, hakte er weiter nach.
Ich zögerte kurz. »Ich habe ihn leer gelassen, falls mir noch etwas einfällt. Mehr nicht.«
»Mehr nicht?«, wiederholte Valentin. Überzeugt wirkte er nicht. Er konnte mich wirklich gut durchschauen.
Ich hob die Schultern. »Was hast du erwartet?«
»Dass du dich nicht traust, den vierten Punkt aufzuschreiben.«
Ich schluckte. Wie machte er das? Seit ich ihn kannte, verhielt er sich, als konnte er direkt in meine Gedanken hineinsehen. »Bist du auch ein Engel?«, fragte ich. So abwegig die Frage auch klang, als ich sie aussprach, so
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