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Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
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zwar warm, aber auf eine so unangenehme Weise, dass mir ein eisiger Schauer über den Rücken kroch. Vielleicht war es auch Alex’ Anwesenheit, die mich beunruhigte. Aber dieses Zimmer war mir irgendwie unheimlich.
    »Danke sehr, das ist nett von dir, die Tür zu schließen«, kam es von ihm. Er stellte den Pinsel in ein mit graubraunem Wasser gefülltes Glas und wischte sich die Hände an einem fetzigen Handtuch ab, das ihm über der nackten Schulter hing.
    »Braucht man zum Malen nicht Licht?«, fragte ich, um meine Unsicherheit zu vertuschen.
    »Licht? Nein, Licht verdreht die Tatsachen, Licht brauche ich nicht, sonst stelle ich die Wahrheit aus einem falschen Blickwinkel dar, verstehst du?« Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber er hatte es gar nicht auf eine Antwort abgesehen. »Und du musst Nina sein, richtig?«, fuhr er mit einer plötzlich ruhigen Stille fort. Jetzt wandte er sich zu mir um und sah mich zum ersten Mal an. Ich erschrak, als mir sein vernarbter, muskulöser Oberkörper ins Auge fiel. Mehrere, nur wenige Zentimeter lange, schlecht verheilte Schnittwunden zogen sich über seine rechte Brust, bis hinunter zum Bauchnabel. Valentin hatte wirklich nicht untertrieben.
    »Eh, ja, Nina, richtig«, stammelte ich, ohne meinen Blick von ihm nehmen zu können. Passend zu seinen Verletzungen hatte er dunkle Ringe um die Augen, die bei diesem schlechten Licht wie übermäßig aufgetragenes Make-Up wirkten. Die Folge von wochenlangem, schlechtem Schlaf. Wenn er überhaupt schlief.
    »Bundeswehr. Irgend so ein Bastard dachte, dass Granaten nichts als Spielzeug sind. Hat mit dem Leben dafür bezahlt«, erklärte er seine Verletzungen. Er musste bemerkt haben, dass ich ihn entsetzt gemustert hatte. Er strich sich eine Strähne aus der Stirn, die ihm fast bis zur Oberlippe reichte, und verschwand hinter einem billigen IKEA-Bücherregal. Durch die Lücken darin konnte ich erkennen, dass dort die Küche war. Er klapperte mit Geschirr. »Also, Nina. Valentin meinte, dass du meine Hilfe brauchst. Was meinte er damit?«
    »Nicht ich. Also eigentlich schon, aber ich brauche die Hilfe für eine Freundin.« Ich hatte lange darüber nachgedacht, ob ich es mit dieser Nummer versuchte, aber wenn er wirklich so schräg war, wie Valentin sagte – und es wirkte bisher so – dann durchleuchtete er meine Lüge nicht.
    »Alles klar. Was für ein Problem hast du?« Er kam auf meiner Seite wieder hinter dem Regal hervor und hielt eine dampfende Tasse in der Hand. Es roch unangenehm süßlich. Als ich nicht antwortete, zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab. »Komm schon, das ist die älteste Lüge der Menschheit, noch älter, als jemandem einen guten Morgen zu wünschen, dem man eigentlich nichts anderes als den Tod wünscht.«
    Fehlanzeige. Er blickte es sehr wohl. Ich biss mir auf die Unterlippe und nickte leicht. »Okay, du hast mich durchschaut«, murmelte ich.
    Er strahlte. »Tee?«
    Ich unterdrückte einen Würgereiz, als er mir die Tasse hinhielt, in der dicke Klumpen trieben. Tee? Das sah mehr aus, wie … Ich wollte gar nicht darüber nachdenken. »Nein, danke«, brachte ich hervor.
    »Okay.«
    Ich wandte den Blick ab, als er einen kräftigen Schluck nahm und genussvoll aufseufzte.
    »Also, Nina. Jetzt rück mal mit deinem Problem raus.«
    Ich schwieg, während ich fieberhaft darüber nachdachte, wie ich es jetzt formulierte. »Meine Freundin«, begann ich absichtlich und korrigierte mich, als Alex die Brauen hob. » Ich schreibe gerade ein Buch, und brauche Informationen über die Verbindung von Seele und Körper.«
    Alex’ Augen leuchteten auf und er strich sich erneut durch das Haar. »Dann bist du hier genau richtig.« Schnell ging er zum zerfledderten Stoffsofa, das unter dem Fenster stand, und winkte mich zu sich. »Setz dich doch!«
    Eigentlich war mir nicht wirklich danach, mich zu setzen, aber andererseits war es vielleicht ganz gut, meine schwammigen Beine etwas zu entlasten. Ich ging durch den Raum und ließ mich vorsichtig auf dem viel zu weichen, durchgesessenen Polster nieder. Alex tat es mir sofort nach und rückte mir dabei unangenehm nahe. Immerhin schwiegen seine Gedanken, was ein ganz gutes Zeichen war.
    »Was genau willst du wissen?«, fragte er direkt.
    »Unter welchen Umständen ist es möglich, dass die Seele den Körper verlässt?«
    Alex lachte leise auf. »Indem man stirbt.« Ich verdrehte die Augen, und augenblicklich verengte sich sein Blick. Er musterte mich

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