Fluegellos
ernst meinte ich sie.
Valentin lachte. »Nein. Ich bin einfach gut darin, Menschen zu lesen. Ganz und gar, ohne vorher gestorben zu sein.«
Ich akzeptierte diese Antwort.
Valentins Griff verstärkte sich und er zog mich enger an sich. »Ich habe es nicht geschafft, Marlen zu retten. Und dafür hasse ich mich heute noch.«
Ich schloss die Augen und lauschte seinen nächsten Worten. Die Hoffnung, die in ihnen lag, löste jedes verbleibende Gewicht von meiner Brust.
»Aber ich werde nicht noch einmal versagen.«
11
Nach zwanzigminütiger, quälender Fahrt durch die Kölner Innenstadt kam mein Wagen endlich zum Stehen und ich atmete genervt auf.
Ich hasste Autofahrten.
Seufzend stieg ich aus und sah mich um. Alex’ Wohnung befand sich in einem alten Backsteingebäude in Weiden, so weit von der Stadtbahn entfernt, dass sich Bahn fahren auch nicht gelohnt hätte. Es schien trotzdem wie eine klassische Studentengegend. Auf den ersten Blick fielen mir drei Kneipen auf, die im Umkreis von wenigen Fußminuten zu finden waren. Außerdem verwies ein Straßenschild auf ein nahe gelegenes Kino.
Ich hob die Schultern. Es war zwar keine Gegend, in die ich freiwillig ziehen würde, aber da Valentin mir die genaue Adresse notiert hatte, musste ich hier wohl richtig sein. Mit schnellen Schritten eilte ich zur Haustür und warf einen Blick auf die Klingelschilder.
Schnürer. Ich war tatsächlich richtig.
Ich betätigte den Klingelknopf und hörte es drinnen schellen. Die Tür war nur angelehnt, wie ich feststellte.
»Hallo?«, fragte ich laut, als auf mein Klingeln keine Antwort kam. Valentin hatte mir versichert, dass Alex jetzt zu Hause war. Also musste er da sein.
Ich klingelte erneut.
»Komm rauf!«, ertönte plötzlich die Stimme eines Mannes. Sie kam nicht aus der Gegensprechanlage, sondern direkt aus dem Treppenhaus. Als rief er das aus seiner Wohnung zu mir.
Ich hob gleichgültig die Schultern, drückte die Tür auf und fand mich im Treppenhaus wieder. Sofort merkte ich, wieso ich hier aus eigenem Antrieb niemals einziehen würde: Es stank erbärmlich nach Alkohol.
Ich versuchte, die Luft anzuhalten, und arbeitete mich die Treppe hinauf. Ich musste nicht noch einmal rufen, um zu wissen, welche Wohnung Valentins Freund gehörte. An jeder der Türen waren Schilder angebracht, auf denen die Nachnamen zu finden waren.
Schnürer war direkt die erste, die mir ins Auge stach. Denn sie war einen Spaltbreit geöffnet und Geräusche drangen aus dem Innern an mein Ohr.
Gerade, als meine Hand über dem Türknauf schwebte, klingelte mein Handy. Ein Blick aufs Display ließ mich genervt aufseufzen: Emilia. Sie hatte jeden Grund, anzurufen, denn wir waren vor zwanzig Minuten verabredet gewesen. Aber ich drückte sie weg. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.
»Hallo?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme, als ich die Tür weiter geöffnet hatte. Muffige, nach Farbe riechende Luft empfing mich, begleitet von nur düsterem, leicht rötlichem Licht. Die Vorhänge waren zugezogen und hielten die Sonne davon ab, ins Zimmer zu scheinen. Irgendwie harmonierte das mit der alten Backsteinwand, aber diese Dunkelheit war dennoch unüblich. Valentin hatte nicht untertrieben, als er mir vorhin am Telefon noch gesagt hatte, dass Alex ein gewöhnungsbedürftiger Mann war.
»Bitte, komm doch rein, ich kann gerade leider nicht zur Tür kommen, so gerne ich das auch würde«, ertönte eine leicht hektische und heisere Stimme aus einer Ecke des Zimmers, die ich von meiner Position aus nicht sehen konnte.
»Alex?«, fragte ich und drückte die Tür weiter auf. Jetzt sah ich einen jungen Mann mit freiem Oberkörper, der neben dem Fenster vor einer Staffelei stand und wild mit Farben hantierte. Ich konnte nicht erkennen, was das Gemälde darstellen sollte, und fragte mich, ob er es selbst wusste. Rot, schwarz und blau war in unregelmäßigen Pinselzügen über die ganze Leinwand verteilt worden, vereinzelte gelbe Punkte ließen das Bild noch unordentlicher erscheinen. Aber vielleicht war genau das seine Absicht.
»Hallo. Komm rein, und mach bitte die Tür zu, das Licht aus dem Flur irritiert mich, damit kann ich nicht arbeiten.« Er strich sich flüchtig durch das mittellange, tiefbraune Haar, ließ dabei ein bisschen rote Farbe dort zurück und fuhr mit seiner Arbeit fort, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Hatte er mich überhaupt wirklich bewusst wahrgenommen?
Ich zog die Tür zu und begann augenblicklich, zu frösteln. Es war
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