Fluegellos
Glas.
»Auf die Problematik mit Seele und Körper bedeutet das eine weitere Wiederbelebung«, hörte ich Alex dann fortfahren. Mein Unwohlsein ließ sich nicht vertreiben, das Wasser hatte sein Ziel verfehlt. Mir war genauso übel wie zuvor.
»Also einen weiteren Tod«, hauchte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.
»Du hast es verstanden.« Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme, aber mir war nicht danach zumute, den Kopf zu heben. Ich wusste nicht einmal, ob ich die Kraft dazu hatte.
Ein weiterer Tod. Das war die Lösung. Zumindest, wenn Alex’ Theorie aufging, woran ich nicht wirklich zweifelte. Alles hatte logisch geklungen.
Ich hatte nur einen Wackelkontakt.
Mehr nicht.
»A… alles klar«, brachte ich nach kurzer Stille hervor. Mir war speiübel, ich hatte das Gefühl, mich jeden Augenblick zu übergeben. »Danke.« Ich stemmte mich gegen das Sofa und versuchte mich aufzurichten, aber die Muskeln in meinen Armen versagten und ich sackte zurück.
»Nina? Ist alles in Ordnung?« Ich spürte eine eisige Berührung an meinem Oberarm. Alex strich fast väterlich über meine Haut, als wollte er mich beruhigen.
»Ja, alles bestens«, log ich und rückte ein Stück, um seinem Griff zu entgehen.
»Du siehst aber blass aus.«
So fühlte ich mich auch. Furcht kroch in meine Kehle und drückte mir mit eisernen Krallen die Luftröhre zu. Mein Atem ging nur noch pfeifend, als sich die Furcht in blanke Panik verwandelte. Denn allmählich drang das Gehörte – die Bedeutung davon – in meinen Kopf. Scheiße!
»Brauchst du noch ein Glas Wasser? Du siehst wirklich nicht gut aus. Überhaupt nicht gut«, beharrte Alex.
»Nein, geht schon. Ich sollte jetzt einfach …« Ich startete einen weiteren Versuch, aufzustehen. Diesmal gelang es mir, wenngleich ich mich am Schreibtisch festhalten musste, um nicht zu stürzen. Meine Beine glichen Wackelpudding und so arbeitete ich mich keuchend zur Zimmertür, versuchte durchgehend, nicht den Halt zu verlieren. Aber ich musste jetzt fort von hier.
»Nina?«, rief Alex mir hinterher, als ich die Tür erreicht hatte. Aber ich hörte nicht auf ihn und blendete seine Stimme vollkommen aus. Ich wollte einfach nur weg, wohin, war mir vollkommen egal. Einfach nur weg, am liebsten von allem und jedem. Schwerfällig öffnete ich die Tür, fixierte meinen Blick auf einen festen Punkt, um sicherer zu stehen, und schlüpfte durch den Spalt.
»Nin..!«
»Danke für deine Hilfe«, nuschelte ich in mich hinein und begann zu rennen, so gut es ging. Ich stolperte die Treppe hinunter, krachte mit dem ganzen Oberkörper gegen die Haustür und riss sie auf. Ein abartiger Schmerz zuckte durch meine Schulter, der für einen kurzen Augenblick meine Gedanken aufklaren ließ. Mein Blick wurde wieder scharf und ich schaffte es, mit relativ geraden Schritten zu meinem Auto zu gelangen.
Keuchend ließ ich mich auf dem Fahrersitz nieder und knallte die Tür zu.
Mein kurzer Besuch bei Alex war vorbei. Und ich fühlte mich jetzt miserabler als zuvor.
» SCHEIßE! «, brüllte ich. Der heiße Kloß in meiner Kehle lockerte sich und ließ Tränen an die Oberfläche. Ich versuchte sie fortzuwischen, aber sie strömten unaufhaltsam. Ich hatte jetzt Gewissheit, etwas, das ich immer hatte haben wollen. Aber diese Gewissheit war grausam.
Ich war kein Engel. Ich war nicht einmal mehr ein Mensch. Ich war einfach nur kaputt. Ich war ein Nichts, hatte keine Bedeutung. Ich war kein Bote, der auf dieser Erde irgendetwas richten sollte. Meine Existenz verfolgte kein höheres Ziel, sondern gar keines. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, mir überhaupt den Namen Engel zu geben?
Verzweifelt. Ich war verzweifelt gewesen.
Aber nicht so verzweifelt wie jetzt.
12
Valentin blieb stehen und starrte auf das gelbe Auto, das vor seinem Haus auf der Straße stand. Düster huschte eine Erinnerung durch seinen Kopf. Er kannte es irgendwoher. Aber nicht von hier.
Nina , raste es ihm plötzlich durch den Kopf. Es hatte vor Ninas Haus gestanden.
Sofort trat er einige Schritte vor und warf einen Blick auf das Nummernschild.
NS. Nina Schreiber.
Was machte sie hier? Hatte sie nicht zu Alex fahren wollen? Er hatte sie doch erst vor einer Stunde noch am Telefon gehabt!
Noch während er auf die Haustür zulief, kramte er den Schlüssel aus seiner Hosentasche. War etwas schief gelaufen? Aber was für einen Grund sollte sie dann haben, bei Emilia zu sein? Wollte sie sie zur Rede stellen und ihr
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