Fluegelschlag
Worte kamen von Herzen: »Ich würde alles darum geben, einen Weg zurück zu finden.«
»Ach wirklich?« Nigella wirkte überrascht. »Aber Nácar sagt …« Eine feine Röte erschien auf ihren Wangen, und sie sprach nicht weiter.
Plötzlich dämmerte es Juna. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich scharf auf deinen Job bin?« Sie unterdrückte gerade noch ein abfälliges Schnauben. Offenbar lag Nigella etwas an ihrer Position in diesem dämonischen Haushalt, und sie wollte sie nicht beleidigen. Dennoch sprudelten die nächsten Worte aus ihr heraus: »Da mach dir mal keine Sorgen. Lieber würde ich tot unter der Decke hängen, als dem Kerl zu Diensten zu sein.«
Erschrocken stammelte Nigella: »Du weißt davon?«
Was diese Reaktion hervorgerufen haben könnte, blieb ein Rätsel, denn sie griff nach dem Tablett mit dem Abendessen,
das Juna kaum angerührt hatte, und floh aus dem Raum.
Juna hätte sich ohrfeigen können. Warum musste sie auch immer aussprechen, was ihr in den Sinn kam? Aufgewühlt sprang sie auf und flehte bestimmt zum millionsten Mal, Arian möge sie hören. »Bitte hol mich hier raus!«
»Hat dir meine Nigella nicht erzählt, dass strahlende Ritter hier keinen Zugang haben?« Nácar stieß sich vom Türrahmen ab, in dem er gelehnt hatte, und schlenderte wie beiläufig zu Juna herüber, die ihn verbittert ansah. Dieses ständige unangekündigte Auftauchen ihrer Kerkermeister begann ihr mächtig auf die Nerven zu gehen.
»Nein, das hat sie nicht. Sie spricht überhaupt recht wenig. Ich weiß ja nicht einmal, wo ich bin.«
»Was glaubst du denn? Du bist in Gehenna.« Als er ihren ratlosen Blick bemerkte, fuhr er fort: »Unser Refugium im Hades. Ihr Menschen schafft euch eine eigene Hölle, aber wir wurden in diesen Teil der Unterwelt verbannt …«
»Also habe ich Recht - du bist ein gefallener Engel.« Fast hätte sie hinzugefügt: »Wie Arian.« Aber dann wurde ihr klar, dass die beiden nichts gemein hatten. Nicht einmal ihre Flügel , dachte sie, als das plötzliche Erscheinen von Nácars Schwingen einen deutlich spürbaren Windstoß erzeugte. Bei Licht betrachtet war nicht viel von den glänzenden Rabenflügeln übrig, die sie zu sehen geglaubt hatte. Im Gegenteil - als sie genauer hinschaute, wirkten sie wie aus dicker schwarzer Haut geschaffen. Fetzen lösten sich hier und da, dazwischen klebten Reste der ehemaligen Befiederung. Unangenehm berührt sah sie beiseite.
Die Flügel verschwanden hinter seinem Rücken. »Jemand wie er käme gar nicht herein. Und sollte es ihm doch
gelingen, dann wär’s das für deinen Liebsten. Glaubst du, eure Welt wäre, was sie ist, wenn jeder hier herausspazieren könnte, wie es ihm gefällt? So nützliche Idioten wie deinen Bruder, die einem eine Freifahrkarte verschaffen, findet man selten.«
Juna zuckte zusammen. John hatte sie vollkommen vergessen! »Was hast du mit ihm gemacht? Er ist kein schlechter Mensch!«
»O doch, das ist er! Und deshalb hat er auch eine große Karriere vor sich … sofern er dieses Abenteuer hier überlebt. Keine Sorge, ich bin zuversichtlich. Er wird willig und unbeschadet zu mir zurückkommen.«
»Warum bist du dir da so sicher?« Juna konnte nicht anders, sie musste sich vergewissern, dass ihr Bruder noch am Leben war.
»Erstens hat er keine andere Wahl. Und was sagt man noch gleich über Katzen …?«
»Sie haben sieben Leben und egal, wohin das Schicksal sie schleudert, sie fallen immer auf die Füße.« Juna sprach hastig, bevor er wieder den Kopf schräg legen und damit dieses abscheuliche Knacken auslösen konnte. »Aber wenn er dir wirklich so ergeben ist, wie du behauptest, warum hast du ihn dann fesseln müssen?«
Nácar gab einen fauchenden Laut von sich, der sie daran erinnerte, dass sie es hier nicht mit einem Menschen zu tun hatte. Selbst wenn er einst ein Engel gewesen sein sollte, wovon sie nicht mehr vollständig überzeugt war, dann war er schon damals eine gefährliche Kreatur gewesen. Wie viel schrecklicher musste er als Dämon sein, wenn selbst die Engel ihn fürchteten? Es war ganz deutlich: Das Thema behagte ihm nicht, und sie war klug genug, ihn nicht weiter
zu reizen. Womöglich hatte John einen Weg gefunden, sich seinem Einfluss zu entziehen.
Als Nácar sah, wie sie den Kopf senkte, beruhigte er sich. Er trat einen Schritt näher und hob ihr Kinn an. »Was kümmert mich dein Bruder, wenn ich dich haben kann.« Seine obsidianfarbenen Augen glänzten wie frisch polierter Lack.
Sie konnte ihr
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