Fluegelschlag
nicht.
Ein erneutes Jammern riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah sich noch einmal nach der Tür um. Doch sosehr sie auch lauschte, nun blieb alles still. Wahrscheinlich hatten die angespannten Sinne ihr einen Streich gespielt.
Schnell folgte sie Nigella, die bereits weitergeeilt war. Um nichts in der Welt wollte sie allein in dieser Halle des Schreckens zurückbleiben. Sie betraten einen wesentlich freundlicheren Säulengang, der sich zu ihrer Rechten in einen Garten öffnete. Die großen Steinplatten unter ihren Füßen reflektierten die Wärme eines mediterranen Sommertags. Üppige Oleandersträucher wogten sanft im aufkommenden Abendwind, der den Duft von Zitronen und Lavendel mit sich trug. Sie war vom Mittelalter direkt in die Antike gelangt, und als sie am Ende durch hohe Türen in einen Spiegelsaal eintraten, bei dessen Anblick der Sonnenkönig vor Neid erblasst wäre, dachte sie, nichts könne sie mehr überraschen. Doch danach folgte sie Nigella in eine gemütliche Bauernküche. Ein erstaunter Laut entfuhr ihr. Die Luft war schwer von Wohlgerüchen aller Art, und unter der Decke hingen zahllose Bündel unterschiedlichster Kräuter zum Trocken.
Bevor sie fragen konnte, erhielt sie bereits eine Antwort. »Bis vor kurzem besaß Nácar noch einen weiteren Apprentice, der darauf bestand, in seiner eigenen Küche arbeiten zu dürfen.«
»Und der war Bäcker?« Juna lief von dem köstlichen Duft frischen Brotes das Wasser im Mund zusammen.
»Hexenmeister. Möchtest du etwas trinken? Meine Kehle ist wie ausgedörrt.« Nigella füllte zwei Gläser mit Wasser aus einem Krug und reichte ihr eines. »Dann ist dieser Arian, nach dem du gerufen hast, dein Schutzengel?«
Juna trank und verschluckte sich. »Nein, er …« Sie hustete. Während sie nach Atem rang und sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, fragte sie sich, ob sie Arians Natur enthüllen durfte. Doch dann erinnerte sie sich, dass eine Fee weit mehr über die magische Welt wusste, als sie selbst sich je hätte träumen lassen. Vielleicht konnte sie ihr helfen, mit Arian Kontakt aufzunehmen. »Er ist Wächter.«
»Und dein Geliebter?«
Juna wollte schon verneinen, da blickte sie in das wissende Gesicht der Fee und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Er kam eines Tages aus meinem Schrank. Was hättest du getan?«
Nigella lachte ihr Quellenlachen, bis ihr die Tränen kamen: Rosa schimmernde Perlen, die sie mit einer ungeduldigen Handbewegung auffing und in ihre Tasche steckte. »Vermutlich auch zugegriffen.« Dann wurde sie ernst. »Euch muss etwas ganz Besonders verbinden. Das erklärt natürlich, warum dein Feuer …«
Ihr blieb keine Zeit, mehr zu sagen. Nácar tauchte auf, umhüllt von einem wenig dezenten Schwefelgeruch, und er gab sich keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen. Mit drei langen Schritten war er bei Juna, ergriff mit einer Hand ihr Genick und schüttelte sie wie eine kleine Katze. »Ihr bringt mir nur Ärger! Erst dein verdammter Bruder und nun du.«
Nigella wollte eingreifen, doch er schleuderte sie mit einer einzigen Handbewegung gegen die Wand. »Du vergisst dich!«
Ihre unvergleichliche Fähigkeit, im richtigen Augenblick die Form ihres Elements anzunehmen, rettete sie davor, mit zertrümmerten Knochen am Boden liegend zu enden. Sie richtete sich langsam auf und sah wortlos zu, wie der Dämon Junas leicht bekleidete Gestalt kritisch von oben herab musterte. »Keine Ahnung, warum er dich haben will. Aber sein Wunsch ist mir Befehl.«
Der Klang seiner Stimme erschreckte sie mehr als seine Brutalität. Bisher hatte er eine unerschütterliche Souveränität ausgestrahlt, doch jetzt glaubte sie fast so etwas wie Panik herauszuhören. »Du wirst nur sprechen, wenn du gefragt wirst. Hast du mich verstanden?« Er unterstrich jeden seiner Sätze mit einem weiteren Schütteln, und Juna glaubte, ihr Kopf müsse gleich platzen. »Ob du mich verstanden hast?«
Mehr als ein Wimmern brachte sie nicht zustande, doch das schien ihm auszureichen.
»Gut. Und damit das auch so bleibt, gebe ich dir noch ein kleines Geschenk mit auf den Weg.«
Das Letzte, womit sie gerechnet hatte, war, geküsst zu werden. Vor Schreck ließ sie ohne Widerstand zu, dass seine Zunge tief in ihren Mund eindrang. Sie ist wirklich gespalten! , dachte Juna. Danach spürte sie glücklicherweise nicht mehr viel und hoffte nur, es möge aufhören. Als er sie endlich von sich schob, schmerzten ihre Lippen, als seien sie von einer ätzenden
Weitere Kostenlose Bücher