Fluegelschlag
anfänglicher Unentschlossenheit wurde schnell ein hungriges Verlangen, das sie beide überrollte wie eine Flutwelle nach dem Bruch aller zivilisatorischen Dämme.
Ähnlich wie bei ihrer ersten Begegnung verloren sie jede Kontrolle. Juna wusste nicht mehr, wo sie war, und am Ende hielten sie einander in den Armen, als hinge ihr Überleben davon ab.
Als Juna einige Stunden später erwachte, lag Arian neben ihr. Vage erinnerte sie sich daran, wie er sie ins Schlafzimmer getragen hatte. Über die Schwelle , hatte er dabei gemurmelt und sie liebevoll angesehen. Danach musste sie eingeschlafen sein. Die Sonne schien flach durch die Scheiben, es war später Nachmittag, und sie hatte - ganz profan - Hunger. Bevor sie jedoch den Arm beiseiteschob, der über ihrer Taille lag, betrachtete sie den dazugehörigen Mann. Nein. Engel!
An Arian war nichts Menschliches, so, wie er neben ihr lag: auf dem Bauch, einen Flügel ganz dicht an den vollendeten Körper geschmiegt, den anderen halb ausgestreckt. Seine zart bronzefarbene Haut, glatt und alterslos, dennoch männlich, stand in merkwürdigem Kontrast zu den perlgrauen Schwingen.
Grau? Juna setzte sich abrupt auf und hielt beide Hände vor den Mund, um einen entsetzten Ausruf zu unterdrücken, der ihr auf den Lippen lag. Doch es war zu spät - Arian drehte sich auf die Seite und schlug die Augen auf.
»Guten Morgen! Träume ich, oder sitzt die schönste Frau des Universums in meinem Bett?« Erst jetzt bemerkte er ihren Gesichtsausdruck. »Was ist los?«
»Die Federn!« Mehr als diese zwei geflüsterten Worte brachte sie nicht über die Lippen.
Arian streckte einen Flügel aus, blickte sich um und sah, was sie meinte. »Verdammt!« Er erstarrte. Sah von seinem Flügel zu Juna und wieder zurück. Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte. Er sprang aus dem Bett, griff ihre Hände und zog sie auf die Füße.
»Weißt du, was das bedeutet?«
Dass er verrückt geworden war? Juna sah ihn fassungslos
an. Wie konnte er sich darüber freuen, dass seine herrlich weißen Flügel über Nacht grau geworden waren?
»Verrückt? Nein, frei!« Er hob sie hoch, als wäre sie ganz leicht, drehte sich mit ihr im Kreis und lachte glücklich. »Verstehst du nicht? Gefallene Engel bekommen nur graue Flügel, wenn sie endgültig aus Elysium verbannt wurden. Nephthys hat keinerlei Macht mehr über mich. Juna, ich bin endlich frei!«
»Indem du zum Heimatlosen wirst?« Juna war ratlos. »Was heißt das jetzt genau?«
Er setzte sie ab und hauchte einen Kuss auf ihre Nasenspitze. »Ich bin nicht ziellos durch die Welt gewandert , wie Lucian dir weismachen wollte. Nephthys hat mich gerufen, und als einer ihrer Engel musste ich gehorchen.«
»Das war es also, was Lucian als höhere Gewalt bezeichnet hat, der auch er sich unterordnen muss.«
»Hat er das?« Arian klang zufrieden. »Gut zu wissen.«
Juna erwiderte seinen Kuss, und das Gespräch kam ins Stocken.
Schließlich löste sich Arian von ihr. »Nephthys hat mich verdammt lange im Ungewissen gelassen.«
Juna sah in strafend an. »Fluchen scheint dir neuerdings zu gefallen.«
»Stimmt, es ist verd…« Er korrigierte sich hastig. » Ziemlich lange her, seit ich das ungestraft tun konnte. Aber ehrlich gesagt erwarte ich immer noch, dass mich ein Lichtstrahl zu Staub werden lässt, wenn ich das V-Wort ausspreche.«
Juna fing seine Hand ein, die Kreise auf ihren Bauch malte und damit ihre Konzentration erheblich zu stören begann. »Was hat diese Nephthys denn nun gesagt?«
»Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Wichtig ist nur, dass ich plötzlich begriffen habe, wo mein Platz ist. Bis zum Wiedersehen mit dir habe ich geglaubt, es gäbe nichts Erstrebenswerteres für mich, als nach Elysium zurückzukehren. Aber das stimmt nicht. Du bist mein Elysium.« Er fiel vor ihr auf die Knie. »Juna, kannst du dir vorstellen, mir einen Platz in deiner Zukunft einzuräumen?«
Sie befreite sich aus seiner Umarmung und griff nach ihrem Morgenmantel. Entscheidungen dieser Tragweite traf man nicht nackt. Eine riesige Wintersonne versank hinter dem Horizont, und die Wohnung verlor allmählich ihr farbiges Kleid, das sie an solchen Abenden anzulegen pflegte. Schließlich drehte sie sich um. »Ich weiß es nicht. Meine Zeit auf der Erde ist so kurz. Du hast die Ewigkeit auf deiner Seite. Was wird, wenn ich alt bin? Wirst du mich dann immer noch lieben?«
Er war aufgestanden
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