Fluegelschlag
ein paar Kekse daneben und setzte sich ganz vorn auf die Kante ihres Stuhls. »Und was tut so ein Wächter, außer in Kleiderschränken zu sitzen und gelegentlich eine Tierärztin in Not zu retten?«
»Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass wir das Gleichgewicht der Welt bewahren?«
Sie dachte an seine überwältigende Präsenz, während er sie vor dem Angreifer beschützt hatte. So verrückt es klang - sie glaubte ihm. »Gut. Und wie macht ihr das genau?«
»Das ist schwierig zu erklären …«
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ich habe Zeit.«
Arian atmete tief durch. »Ich gehöre zu den Vigilie. Wir sind eine Gruppe von Engeln …«
»Engel?« Junas Finger ballten sich zur Faust.
Arian hätte sie gern getröstet, aber er wagte nicht einmal, seine Hand auf ihre zu legen, um sie zu beruhigen. Also sprach er weiter und hoffte, dass seine beruhigenden Kräfte, die normalerweise bei den meisten Menschen funktionierten, auch bei Juna ihre Wirkung tun würden. »Unsere Aufgabe ist es, überall auf der Welt darauf zu achten, dass das Böse nicht die Oberhand gewinnt.«
»Dann macht ihr einen lausigen Job!«
Arian seufzte. »Es ist ein wenig komplizierter.«
Juna trank einen Schluck Tee, stellte die Tasse zurück und sah ihn erwartungsvoll an.
»Wir sind ausschließlich für dämonische Aktivitäten zuständig.« Als sie erneut etwas sagen wollte, hob er die Hand. »Lass es mich erklären. Dämonen, jedenfalls die mächtigsten unter ihnen, sind gefallene Engel.«
Nun unterbrach sie ihn doch. »Wie die Engel aus der Bibel? Haben sie wirklich Eva verführt, den Apfel zu essen?«
»Ich ahne, wo du das gelesen hast. Und bevor du weiterfragst: Ich war nicht dabei. Da du aber bereits von der traurigen Geschichte gefallener Engel gehört hast, kannst du dir bestimmt vorstellen, dass dies kein Thema ist, über das in Elysium gern gesprochen wird.«
»Entschuldige.«
Arian lächelte sie beruhigend an. Sie sollte nicht glauben, dass ihre Fragen ihn verärgerten. Das taten sie auch nicht. Er hatte nur noch nie zuvor einem Menschen erklären müssen, wer - oder besser was - er war. »Unsere Aufgabe ist es, dämonische Aktivitäten zu unterbinden und die Abgesandten Luzifers zurück nach Gehenna zu schicken. Dass es trotzdem so viel Schreckliches auf dieser Welt gibt, liegt
daran - ich muss es leider sagen -, dass der Mensch auch ohne teuflische Einflüsterungen ein beachtliches Repertoire an Boshaftigkeiten mitbringt. Darum existieren neben den dunklen, also den gefallenen Engeln, die nach Gehenna verbannt sind, auch noch Dämonen ursprünglich menschlicher Herkunft.«
»Dann werden besonders gute Menschen auch zu Engeln?«, fragte Juna und dachte dabei an ihre Großmutter, die sie liebevoll aufgezogen hatte, bevor sie viel zu früh gestorben war.
Arian ahnte ihre Gedanken und lächelte. »Einige werden zu Schutzengeln.«
»Aber ein Schutzengel bist du nicht.« Keine Frage, eine Feststellung.
»Nein. Glaubst du denn tatsächlich, dass es sie gibt?« Arian war verblüfft.
Ihre Mimik verriet, dass sie hin- und hergerissen war zwischen dem Wunsch, ihm zu vertrauen, und einem weiteren Gedanken, der sie offenbar sehr beschäftigte. Sie griff über den Tisch zur Kanne und schenkte neuen Tee ein. Als sich die Milch schließlich in einem Strudel mit der dunklen Flüssigkeit verbunden und ihr ein karamellfarbenes Aussehen verliehen hatte, legte sie den Löffel beiseite und sah ihn an. Offenbar hatte sie einen Entschluss gefasst. »Ich weiß, dass es Schutzengel gibt. Weil ich sie sehen kann«, fügte sie trotzig hinzu.
»Wie bitte?«
»Du glaubst mir nicht.« Juna stand auf, der Stuhl rutschte geräuschvoll über den Küchenboden. Sie stützte sich auf dem Tisch ab, beugte sich weit vor und studierte seine Gesichtszüge.
Nichts, nicht einmal das Zucken eines Augenlids verriet, was er dachte. Die aristokratische Nase, die hohen Wangenknochen, das entschlossen wirkende Kinn - alles war meisterlich geformt. Da saß dieser Mann und behauptete, ein Engel zu sein, was an sich ja schon lachhaft schien, und dann sah er auch noch so aus. Der Gipfel aber war: Ihr wollte er nicht glauben, was sie sah.
Nur ungern riss sich Juna vom Anblick seines sinnlich geschwungenen Mundes los. »Hier ist unser Gespräch beendet.«
»Bitte setz dich wieder.« Er lege seine Hand auf Junas Finger. Sie waren ganz kalt, und Arian drückte sie sanft.
Die unerwartete Berührung löste ein merkwürdiges Flattern in ihrem Bauch
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