Fluegelschlag
Mühe, den vorwurfsvollen Unterton zu unterdrücken.
Arian hob die fünfundsiebzig Kilogramm Lebendgewicht so mühelos vom Tisch, als hielte er ein Plüschtier im Arm, und Juna stellte ohne mit der Wimper zu zucken eine saftige Rechnung aus. Letzteres verhinderte allerdings nicht, dass im Wartezimmer lautes Tuscheln und Raunen anhob, nachdem die Frau aus dem Behandlungszimmer gegangen war.
Juna verdrehte die Augen, während sie den Metalltisch
desinfizierte. »Es tut mir leid.« Sie schämte sich für ihre Geschlechtsgenossinnen, und ein klein wenig auch für ihre Eifersucht.
»Was tut dir leid? Dass der Hund gesund war?« Arian schmunzelte.
»Klar, dir gefällt es natürlich, wenn dir alle Frauen zu Füßen liegen.«
»Mich interessiert nur diese eine!« Blitzschnell hatte er sie an sich gezogen, um seine Behauptung mit einem leidenschaftlichen Kuss zu bestätigen. Es dauerte nicht lange, bis Juna jeglichen Widerstand aufgab und alles um sich herum vergaß. Ein Räuspern ließ sie schließlich auseinanderfahren.
»Wie ich sehe, hast du Wichtiges zu tun.«
»Gabriel!« Arian wirkte nicht glücklich, als er den Engel in der Tür lehnen sah.
Hinter ihm reckten die Wartenden die Hälse, und jemand flüsterte unüberhörbar: »Jetzt sind es schon zwei!« Lachen ertönte. »Für den Anblick lohnt sich das Warten allemal.«
»Ladys!« Arian schob Gabriel beiseite und stand nun an seiner Stelle in der Tür zum Warteraum. »Die Sprechstunde ist beendet. Bei Notfällen wenden Sie sich bitte an die Tierklinik in Broomhill. Die Nummer steht in jedem Telefonbuch.«
»Werden Sie auch dort sein?«, hörte Juna eine freche Stimme fragen. Andere kicherten.
Gabriel mischte sich ein. »Raus!« Wie um den harten Befehl zu mildern, war seine Gestalt für einen kurzen Augenblick in weiches Licht gehüllt. Stühle wurden gerückt, das Klicken von Hundepfoten auf Linoleum war zu hören.
Juna erwachte aus ihrer Schockstarre und drängte sich an Arian vorbei. Sie erreichte die Haustür gerade noch rechtzeitig, um die Frauen fröhlich schwatzend die Straße entlanggehen zu sehen. Keine kam ihr besonders bekannt vor, aber jede hatte augenscheinlich irgendein Tier bei sich. Sie sah einen Vogelkäfig, zwei Katzenkörbe und Hunde in verschiedenen Größen. Ein Mann auf der anderen Straßenseite blieb stehen und sah der merkwürdigen Prozession hinterher. Schnell schloss Juna die Tür und lehnte sich dagegen. Sie hatte es geahnt. Sobald man sich mit einem Mann einließ, kehrte dieser früher oder später den Macho heraus. Was bildete er sich ein? Und das Schlimmste war, dass eine unbelehrbare Stimme ihr zuraunte, dass nicht Arian, sondern Gabriel die Schuld an dieser irritierenden Austreibung trug. Er war ihr von Anfang an nicht geheuer gewesen. Sie spürte Wut in sich aufsteigen. Keine gute Sache, besonders in geschlossenen Räumen.
Juna atmete ein paar Mal tief durch, bis die alles verschlingende Hitze in ihren Adern wieder verschwunden war. Dann kehrte sie in den Behandlungsraum zurück, wo die beiden Männer in einer fremdartigen Sprache leise miteinander diskutierten. Auch wenn sie nichts verstehen konnte, war ihr klar, dass sie stritten. Sehr gut. Doch so leicht sollten sie nicht davonkommen.
»Wenn ich mal unterbrechen darf!« Es dauerte einige Sekunden, bis sie die Aufmerksamkeit der beiden hatte. »Vielleicht ist Leuten wie euch das Konzept des Geldverdienens nicht ganz klar. Aber ich erkläre es euch gern: Wir hier auf der Erde ernähren uns nicht von Manna und Hallelujah. Hier muss man arbeiten, um das alles«, mit einer Handbewegung schloss sie Haus und Praxis ein, »bezahlen
zu können.« Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. »Ist euch bewusst, dass ihr gerade meine Lebensgrundlage verscheucht habt?«
Während Gabriel sie kalt betrachtete, glaubte sie bei Arian eine Spur von Verständnis zu entdecken. Seine Worte jedoch widerlegten diesen Eindruck sofort. »Keines der Tiere war krank.«
»Komm mir nicht so.« Natürlich hatte er Recht, und sie hätte den Frauen nicht den vollen Preis für eine kurze Untersuchung berechnen sollen. Aber sie schienen mehr als bereit zu sein, ihren Tieren den Stress eines Arztbesuchs zuzumuten, nur um mit Arian flirten zu können. Da war es nur recht und billig, dass sie dafür auch ordentlich bezahlten. Während sie nach einer Rechtfertigung suchte, machte sie einen strategischen Fehler: Sie sah zu Arian hinüber. Sofort schlug ihr Herz schneller. Sie war nicht besser als die
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