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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debora Zachariasse
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Tisch.
    »Was geht da vor?« Freds Adlerblick hatte uns erfasst. Spuckeblasen im Mundwinkel, ein Trommelwirbel mit den Fingern. Phase I und II im Schnelldurchlauf! Fehlte nur noch die verkniffene Grimasse.
    Ich beugte mich tiefer über meine Blätter und musste das Lachen unterdrücken, obwohl die Situation alles andere als lustig war.
    »Ich bin erkältet«, schniefte Tibby. »Mir ist das Taschentuch runtergefallen.«
    Ich hüllte mich in eine »Damit-habe-ich-nichts-zu-tun«-Wolke, aber Fred, der alte Bluthund, hatte Witterung aufgenommen.
    »Setz dich hin, aber sofort!« Spuckespritzer flogen durch die Gegend und Freds Gesicht lief rot an.
    Was war denn jetzt los? Spucken gehörte doch zu Phase I und der rote Kopf zu Phase III. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Tibby setzte sich hin.
    Fred stand auf, kam mit großen Schritten herbei und zwängte sich zwischen unsere Tische, um das Taschentuch aufzuheben. Er roch nach Pfefferminz und
Axe for Men
. Ich stellte mich prophylaktisch schon mal auf Phase IV ein.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tobias Tarik einen Zettel zusteckte. Bei Fred schrieben alle, aber auch wirklich alle ab, doch die anderen bemerkte er nicht, nur uns hatte er im Visier.
    »Glaubt bloß nicht, ihr könntet mich zum Narren halten!«, blaffte er. Zu meiner großen Verwunderung gab er Tibby das Taschentuch. »Da, putz dir die Nase! Und jetzt ist Schluss mit dem Affentheater!«
    Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und sah sich in aller Ruhe um. Dann pulte er etwas aus seinem Ohr und betrachtete es eingehend. Einen Moment lang befürchtete ich, er würde es aufessen, aber er wischte den Finger an seiner Jeans ab.
    Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht, als ich daran dachte, dass Fred womöglich einer der Lehrer war, die auf dem Stuhl in JPs Büro meinetwegen Nervenzusammenbrüche bekamen.

6
    Es klingelte, und Fred stand auf, um die Blätter einzusammeln.
    Hinter mir hörte ich einen tiefen Seufzer, dann ärgerliches Gemurmel. Anscheinend war Tibby trotz meiner Hilfe nicht zurande gekommen.
    »Weißt du, wie lange ich für diese Scheißlateinarbeit gelernt hab?«, flüsterte sie mir zu, als wir unsere Sachen einpackten. »Bis halb zwölf!«
    »Boah! Und wann hast du mit Lernen angefangen? Viertel nach elf?« Eine fiese Bemerkung, ich geb’s zu.
    »Warum hast du eigentlich das Taschentuch auf den Boden geworfen?«
    »Na, weil da die Antworten draufstanden.«
    »Schwachsinn!«, sagte sie.
    Was sollte das nun wieder?
    »Dann kann ich mich wohl auf ’ne Fünf gefasst machen. Herzlichen Dank auch!« Sie schüttelte wütend den Kopf.
    An der Tür hielt Fred uns zurück. »Moment noch, ihr beiden.«
    Wir warteten, bis alle weg waren.
    »Sagt mal, warum macht ihr das eigentlich?«, fragte er. »Ich dachte, das Thema sei durch. Erst hab ich euch verwarnt und dann auseinandergesetzt. Und jetzt das.«
    Er sah uns an. Nicht verärgert oder gar wütend, einfach nur fragend.
    Mir fiel beim besten Willen keine Antwort ein.
    »Wir haben nichts gemacht!«, regte Tibby sich auf. »Sie können uns nichts beweisen!«
    »Hör zu, Tibby«, sagte Fred. »Was man beim Abschreiben lernt, vergisst man so schnell nicht wieder. Deshalb drücke ich hin und wieder ein Auge zu. Aber es gibt eine Grenze und die habt ihr heute überschritten.«
    Er griff in seine Hosentasche und breitete ein Papiertaschentuch auf seinem Schreibtisch aus. Am Rand standen mit Kuli die Antworten zu den Fragen fünfzehn bis zwanzig.
    Dieser Fuchs! Er hatte es vertauscht! Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.
    »So was kann ich nicht durchgehen lassen. Das ist euch doch wohl klar, oder?«
    Sekundenlang blieb es still. Tibby starrte ihre Schuhspitzen an.
    Schließlich fasste ich mir ein Herz. »Herr de Wit, wissen Sie eigentlich, wie schwer Tibby es hat? Haben Sie davon auch nur eine leise Ahnung?«
    »Das glaube ich ohne Weiteres«, sagte Fred. »Aber trotzdem geht es so nicht. Tibby muss ihre Arbeiten allein …«
    »Soll ich meine Freundin etwa im Stich lassen?«, fiel ich ihm ins Wort. »Sie hat gestern bis halb zwölf gelernt!«
    »Wie? Bis halb zwölf?« Fred wirkte echt betroffen. »Hast du denn niemanden, der dir ein wenig hilft, Tibby?«
    Ich war perplex, denn so viel Nettigkeit hätte ich ihm nie zugetraut.
    Tibby aber platzte wütend los: »Halb zehn, half elf, halb zwölf – ist doch scheißegal! Ich hab eh keine Chance hier ander Schule. Mich haben doch sowieso schon alle in eine Schublade gesteckt!« Sie schnappte sich das

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