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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debora Zachariasse
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die zweite meines Lebens. Beim ersten Mal war ich vier Jahre alt gewesen und furchtbar wütend. Weil ich kein gestärktes Kleidchen tragen, sondern viel lieber mit Opa herumtoben wollte. Und ich verstand einfach nicht, warum das nicht ging.
    Jetzt verstand ich umso besser.
    Unschlüssig starrte ich in meinen Kleiderschrank.
    »Ma, kann ich die dunkle Jeans anziehen? Oder besser einen Rock?«
    »Ein Rock sieht immer adrett aus«, sagte Ma.
    Adrett? Nein, das wollte ich nicht sein. Es passte nicht zu Tibby. Ich nahm die Jeans.
    Im Spiegel sah ich, dass ich Augenringe, fleckige Haut und einen glasigen Blick hatte. Unwillkürlich überlegte ich, wie viel Liter ein Mensch innerhalb von vierundzwanzig Stunden wohl heulen konnte. Ob das je erforscht worden war? Und wie ging man dabei am besten vor? Nahm man Zwiebeln zu Hilfe? Tränengas? Oder brachte man die Versuchspersonen mit Gemeinheiten zur Verzweiflung?
    Als ich mir die Wimpern tuschte, musste ich an die Christmas-Party denken. Und prompt heulen und noch mal von vorn anfangen.
    Es war nicht meine Schuld, das hatte Tibby selbst gesagt. Alle sagten das …
    Hätte Sharima ihr doch nur einmal ein blaues Tuch aus dem Laden mitgebracht. Ein einziges Tuch hätte ihr das Leben retten können. Und ein blauer Anhänger fürs Handy. War das denn zu viel verlangt?
    Aber war es deshalb Sharimas Schuld?
    »Ma?«
    »Was ist?«
    »Es ist nicht meine Schuld, oder?«
    »Ach, mein Engel, wie kommst du nur auf so was?«, sagte Ma. Sie legte die Haarbürste weg und zog mich an sich.
    »Ich denke es eben. Weil ich ihr doch so gern helfen wollte, aber es hat nichts genutzt.« Ich brach in Schluchzen aus, weil in meinem Kopf alles so furchtbar durcheinanderging. Ma strich mir geduldig übers Haar, bis ich mich ausgeheult hatte.
    »Hör zu, Liebes«, sagte sie. »Du hast dein Bestes gegeben und warst Tibby eine wirklich gute Freundin. Du hast ihr sogar das Leben gerettet. Tibby hatte große Probleme, diekonntest du nicht lösen. Dafür hätte sie professionelle Hilfe gebraucht. Und selbst damit geht es nicht immer gut aus. Du kannst nichts dafür, dass es so gekommen ist, verstehst du?«
    Ich verstand. Aber nur kopfmäßig, mein Bauch wollte es nicht glauben. Er tat so weh.
    »Ich will da nicht hin.«
    »Wir sind doch bei dir«, sagte Ma. »Papa und ich und Sam. Und Easy.«
    Ich nickte und putzte mir die Nase.
    »Gib dir einen Ruck und komm mit«, sagte Ma. Sie versetzte mir einen spielerischen Klaps und gab mir einen Kuss. Da mussten wir beide lächeln.
    Es war voll in der Trauerhalle. Easy wartete schon auf uns, zusammen mit seiner Mutter. Unsere ganze Klasse war da, die meisten mit ihren Eltern oder einem Elternteil.
    Tarik hatte dunkle Augenringe und war käsebleich. Ob er wohl auch glaubte, es wäre seine Schuld?
    Tibbys Sarg stand auf einer Art Podest, umgeben von unzähligen Kränzen und Blumengestecken.
    Eine lange Prozession von Leuten zog am Sarg vorbei, um Tibby ein letztes Mal zu sehen. Manche Mitschüler legten einen Brief oder eine Blume hinein.
    Ich stand zwischen Sam und Easy und war hypernervös.
    »Guckt euch das an«, flüsterte ich. »Der Sarg ist besser in Schuss als ihr Haus. Aber der muss auch lange halten. Eins sag ich euch: Wenn ich mal sterbe, will ich nicht in so ’ne langweilige Kiste.«
    »Pssst«, machte Sam.
    Ich versuchte, still zu sein und einen angemessenen Gesichtsausdruck aufzusetzen, aber es klappte nicht. Eine blöde Bemerkung nach der anderen rutschte mir raus: »Streicht meinen Sarg schön bunt an. Und ihr könnt mir auch ruhig das Gesicht bemalen. Am besten in Gold und Blau, wie bei Tutenchamun. Und so kitschigen Satin innen will ich auch nicht, lieber ein cooles Poster oder einen hübschen Karostoff, in Rot und Blau. Ich spür’s eh nicht mehr, wenn ich hart liege.«
    Easy legte den Arm um mich. »Sei jetzt still«, sagte er. »Und komm mit.«
    Wir traten an den Sarg.
    Tibby trug ein orangefarbenes Tuch um den Hals, mit rosa Perlensaum.
    »Tibby hasst Orange!«
    Sie sah seltsam aus, wohl auch, weil sie das Haar offen trug. Nicht wie die Tibby, die ich kannte, sondern wie eine große Puppe. Eine Schaufensterpuppe.
    Plötzlich war ich mir sicher, dass alles ein Irrtum war. Hier lag ein ganz anderes Mädchen, das Tibby nur ähnlich sah und Orange als Lieblingsfarbe hatte. Ich griff nach Easys Hand. Er drücke meine.
    Neben dem Sarg standen Jeff und Sharima. Jeff trug ein blaues Hemd. Und einen Hut, den er halb ins Gesicht gezogen hatte. Er wischte

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