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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debora Zachariasse
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dabei zu Tode geängstigt hatte. »Meine Hilfe ist eher hinderlich, stimmt’s?Wahrscheinlich hab ich dir das Leben nur noch schwerer gemacht.«
    Tibby schwieg ein paar Sekunden. »Nein, hast du nicht«, sagte sie dann. »Aber du kannst nun mal nichts dagegen machen.«
    Ich wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Die Worte blieben mir im Hals stecken.
    Tibby schloss die Augen. Sie war erschreckend blass.
    Fast wäre sie nicht mehr am Leben, dachte ich, fast hätte sie tot an diesem grässlichen Kunstwerk gehangen. Tot, an einem roten Kabel.
    Aber zum Glück war es gut ausgegangen. Sie lebte.
    »Ich muss los«, sagte ich. »Alles Gute.«
    Sie antwortete nicht. Wahrscheinlich schlief sie bereits.
    Der arme Künstler, dachte ich, während ich mit Ma zum Fahrstuhl ging. Erst liefert er dieses potthässliche Teil ab, und dann passiert so was und sein Ruf ist ruiniert.
    Das Fest war abgeblasen und die Skulptur noch am gleichen Tag vom Schulhof entfernt worden. Künstlerpech nennt man das wohl. Aber wer weiß, womöglich war Tibbys Aktion seiner Karriere sogar förderlich und er würde dadurch berühmt. Vielleicht rief schon morgen ein Museum an und wollte den Gruselgalgen mit Geschichte kaufen …
    Solche Dinge gingen mir durch den Kopf, als wir im Fahrstuhl nach unten fuhren. Graue Fußböden und Metalltüren glitten vorbei.
    So konfus meine Gedanken auch waren, ich fühlte mich vollkommen taub und leer. Tibby lebte, aber ich kam nicht an sie heran. Hoffentlich fand sich im Krankenhaus jemand,der das schaffte. Jemand, der sich auskannte und ihr helfen konnte.
    Am Mittwoch nach dem Unterricht besuchte ich Tibby wieder, diesmal zusammen mit Easy, weil ich mich allein nicht traute.
    »Die anderen lassen dich grüßen«, sagte ich und gab ihr eine Karte, auf der alle aus unserer Klasse unterschrieben hatten.
    Sie warf nur einen flüchtigen Blick darauf und legte sie dann auf das Nachtschränkchen.
    »Ach ja, vielen Dank«, sagte sie mit monotoner Stimme. Zu Easy, weil er ihr das Leben gerettet hatte.
    »Wie geht’s dir inzwischen?«, fragte ich.
    »Ich muss fiese Pillen schlucken, von denen man glücklich wird.«
    »Helfen sie denn?«, fragte ich. »Fühlst du dich ein bisschen besser?«
    »Nein, ich krieg nur Kopfweh davon«, sagte Tibby. »Ich hab das Ganze so was von satt.«
    Tibby ließ den Kopf auf den Arm sinken, als wäre er zu schwer, schwer von düsteren Gedanken.
    Was mochte in ihr vorgehen? Mir wurde bewusst, wie wenig ich sie doch kannte. Und zugleich war ich froh, dass sie hier war, dass ihr nun endlich geholfen wurde.
    »Warum hast du nicht mit mir darüber geredet? Ich wäre doch für dich da gewesen!«
    Easy legte ihr die Hand auf den Arm. »Du warst total verzweifelt, stimmt’s?« Er sagte es zu Tibby, aber ich hatte das Gefühl, dass er auch mich meinte.
    »Mach dir keine Vorwürfe, Anna«, sagte Tibby mit einem Mal. »Du bist die beste Freundin, die man haben kann. Es ist nicht deine Schuld.«
    Ich sah aus dem Fenster. Wollige Winterwolken wurden am bleigrauen Himmel vom Wind in Fetzen gerissen.
    Ich wollte etwas sagen, etwas Aufmunterndes, etwas, das ihr ein wenig Hoffnung gab. Aber mir fielen nur Banalitäten ein. »Alles wird wieder gut«, sagte ich. »Hier bekommst du Hilfe.«
    Sie zog die Brauen hoch, als würde die gut gemeinte Hilfe sie endlos nerven. Dann machte sie die Augen zu.
    Sie war noch immer durchscheinend blass.
    »Tibs, sollen wir gehen?« Ich fühlte mich unbehaglich. »Du willst bestimmt schlafen, oder? Also, mach’s gut und bis bald, okay?«
    Sie nickte leicht und drehte sich zum Fenster.
    Auf dem Rad wandelte sich mein Unbehagen in Unruhe.
    »Meinst du, sie versucht es noch mal?«
    »Bestimmt nicht«, sagte Easy. »In der Klinik ist sie in guten Händen.«
    »Ja, nicht wahr?«, sagte ich. »Sie ist in guten Händen.« Ich wiederholte es mehrmals, bog, ganz in Gedanken, falsch ab und wäre fast gegen ein Auto geprallt. Der Fahrer hupte und ich erschrak fast zu Tode.
    Easy sprang vom Rad und packte mich an der Schulter. »Anna, mach keinen Quatsch!«, sagte er. »Du musst auf dich aufpassen.«
    Sein harter Griff tat weh.
    »Wird jetzt wieder alles gut mit ihr?«, fragte ich.
    »Ja, auf jeden Fall. Und jetzt denkst du bitte mal an was anderes.« Er nahm mich in den Arm.
    Ich konnte aber an nichts anderes denken. Wie mochte ihr zumute gewesen sein, als sie mit dem roten Kabel zur Schule fuhr? Hatte sie es auf dem Gepäckträger gehabt? Oder in der Jacke? Oder schon um den

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