Flüstern in der Nacht
von Bruno Frye – aus ihren Särgen gestiegen und erhoben sich von den Balsamiertischen; er war in die Nacht hinausgeflohen, aber sie rannten hinter ihm her, suchten die Schatten nach ihm ab mit ruckartigen Bewegungen, riefen mit ihren ausdruckslosen toten Stimmen seinen Namen.
Nun lag er in der Finsternis auf dem Rücken und starrte zur Decke, die er nicht sehen konnte. Das einzige Geräusch im Raum verursachte das unhörbare Summen der elektronischen Digitaluhr auf dem Nachttisch.
Vor dem Tod seiner Frau hatte Joshua nur selten geträumt und nie einen Alptraum gehabt. Kein einziges Mal in den achtundfünfzig Jahren. Doch nach Coras Tod vor drei Jahren änderte sich das schlagartig. Jetzt träumte er wenigstens ein- oder zweimal die Woche, und meistens schlimme Träume, in denen er oft irgend etwas schrecklich Wichtiges, das er nicht beschreiben konnte, verlor, und es dann, völlig verzweifelt, hoffnungslos suchte. Er brauchte keinen Psychiater für fünfzig Dollar die Stunde, um zu erkennen, daß jene Träume mit Cora und ihrem allzu frühen Tod zusammenhingen. Er hatte sich immer noch nicht auf ein Leben ohne sie eingerichtet. Vielleicht könnte er das nie. In den anderen Alpträumen kamen Tote vor, die aussahen wie er, sich bewegten, Symbole seiner eigenen Sterblichkeit; aber diesmal zeigten die Toten eine verblüffende Ähnlichkeit mit Bruno Frye.
Er stand auf, streckte sich, gähnte und schlürfte ins Badezimmer, ohne das Licht einzuschalten.
Ein paar Minuten später, auf dem Weg zurück ins Bett, blieb er am Fenster stehen. Die Glasscheiben fühlten sich kalt an. Ein eisiger Wind schlug gegen das Glas und erzeugte klagende Geräusche, wie ein Tier, das danach verlangte, eingelassen zu werden. Das Tal lag still und finster da, nur ein paar Lichter aus den Keltereien funkelten durch die Nacht. Im Norden konnte er das Shade-Tree-Weingut ausmachen. Und dann zog ein schmaler weißer Punkt südlich des Weingutes Joshuas Aufmerksamkeit auf sich, ein einzelner Lichtfleck in einem Weinberg, dort, wo das Frye-Haus stand. Licht im Frye-Haus? Eigentlich dürfte niemand dort sein. Bruno hatte allein gelebt. Joshua kniff die Augen zusammen. Aber ohne Brille erschien alles, was weiter entfernt lag, undeutlich, wurde undeutlicher, je mehr er sich darauf konzentrierte. Er konnte nicht sagen, ob das Licht aus Fryes Haus kam oder aus einem der Verwaltungsgebäude zwischen dem Haus und dem eigentlichen Weingut. Und je länger er in die Nacht hinausstarrte, desto weniger glaubte er, daß dort überhaupt Licht war; – vielleicht handelte es sich nur um den Widerschein des Mondlichtes.
Er ging zum Nachttisch und tastete im Dunkeln nach seiner Brille; er wollte, um seine Nachtsicht nicht zu beeinträchtigen, das Licht nicht einschalten. Ehe er die Brille fand, stieß er ein leeres Wasserglas um.
Wieder am Fenster angekommen, blickte er noch einmal zu den Hügeln hinüber; jetzt war das geheimnisvolle Licht verschwunden. Dennoch stand er noch lange so da, wie ein Wächter. Als Nachlaßverwalter Fryes hatte er die Pflicht, auf den Nachlaß achtzugeben, damit er entsprechend der Testamentsvorschrift aufgeteilt werden konnte. Wenn sich Einbrecher oder Vandalen im Haus aufhielten, so mußte er das wissen. Eine Viertelstunde stand er am Fenster und wartete, aber das Licht kam nicht wieder.
Schließlich ging er zu Bett, überzeugt davon, daß seine schwachen Augen ihn getäuscht hatten.
Am Montagmorgen gingen Tony und Frank weiteren Hinweisen auf Bobby Valdez nach; Frank hörte die ganze Zeit nicht auf, über Janet Yamada zu sprechen. Janet sei so hübsch, so intelligent. Janet sei so verständnisvoll. Janet sei dies und Janet sei ... Es war ausgesprochen ermüdend, aber Tony ließ ihn reden. Es tat gut, Frank als ganz normalen Menschen zu erleben.
Ehe sie sich ihren unmarkierten Polizeiwagen geholt und sich auf den Weg gemacht hatten, führten Tony und Frank noch ein Gespräch mit zwei Männern der Rauschgiftabteilung, Detective Eddi Quevedo und Carl Hammerstein. Nach Meinung dieser beiden Spezialisten war Bobby Valdez höchstwahrscheinlich momentan damit beschäftigt, Kokain oder PCP zu verkaufen, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und in seiner Freizeit betätigte er sich weiterhin als Frauenschänder. Auf dem Drogenmarkt von Los Angeles war im Augenblick mit jenen zwei illegalen, höchst populären Substanzen das meiste Geld zu verdienen. Zwar konnte ein Dealer immer noch mit Heroin und Gras ein Vermögen
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