Flüstern in der Nacht
er an ihrer Darstellung zweifelte, hatte sie angefangen, sich von ihm zurückzuziehen, obwohl er ihre Glaubwürdigkeit in keinster Weise in Frage stellte. Aber, verdammt, er durfte einfach nicht so tun, als würde er ihren Wahnvorstellungen glauben; er mußte sie sachte, aber bestimmt in die Wirklichkeit zurückführen.
»Frye war heute nacht hier«, beharrte sie. »Frye und kein anderer. Aber das werde ich der Polizei nicht sagen.« »Gut«, meinte er erleichtert. »Weil ich nämlich die Polizei nicht rufen werde.« »Was?«
Sie wandte sich ohne Erklärung von ihm ab und verließ die Küche.
Während er ihr durch das chaotische Wohnzimmer folgte, sagte Tony: »Du mußt das melden.« »Ich muß gar nichts.«
»Deine Versicherungsgesellschaft wird keinen Penny zahlen, wenn du nicht Anzeige bei der Polizei erstattest.« »Darüber zerbrech' ich mir später den Kopf«, entgegnete sie, während sie sich ihren Weg durch die Überreste der Möbel und des Geschirrs bahnte und auf die Treppe zuging. »Du hast etwas vergessen«, meinte er. »Was denn?«
»Daß ich Polizeibeamter bin.« »Und?«
»Und daß ich melden muß, was ich hier vorgefunden habe, jetzt, wo ich es weiß.« »Dann melde es doch.« »Zu der Meldung gehört aber auch deine Aussage.«
»Dazu kannst du mich nicht zwingen. Ich mache keine Aussage.«
Als sie die Treppe erreicht hatte, packte er sie am Arm. »Warte doch. Bitte, warte.«
Sie drehte sich um und sah ihn an. Der Zorn hatte jetzt ihre Angst verdrängt. »Laß mich los.« »Wo gehst du hin?« »Nach oben.« »Was wirst du tun?«
»Einen Koffer packen und in ein Hotel ziehen.« »Du kannst bei mir wohnen«, sagte er.
»Du willst doch wohl nicht, daß eine Verrückte bei dir über Nacht bleibt«, betonte sie sarkastisch. »Hilary, sei nicht so.«
»Ich könnte doch durchdrehen und dich im Schlaf umbringen.«
»Ich glaube nicht, daß du verrückt bist.« »Oh, ja, stimmt. Du hältst mich ja nur für verwirrt, vielleicht ein wenig plemplem, aber nicht gefährlich.« »Ich versuche doch nur, dir zu helfen.« »Du entwickelst aber eine komische Art von Hilfe.« »Du kannst nicht ewig in einem Hotel wohnen.« »Ich werde wieder nach Hause zurückkehren, sobald man ihn erwischt hat.«
»Aber wenn du keine formelle Anzeige erstattest, dann wird auch niemand nach ihm suchen.« »Ich werde ihn suchen.« »Du?« »Ich.«
Jetzt wurde Tony ärgerlich. »Was für ein Spielchen hast du denn vor – Hilary Thomas auf Verbrecherjagd?« »Ich könnte einen Privatdetektiv beauftragen.« »Oh, wirklich?« fragte er verärgert, wohl wissend, daß er sie damit vielleicht noch mehr verstimmen würde, aber auch zornig genug, um sich länger geduldig zurückhalten zu können.
»Im Ernst«, sagte sie. »Privatdetektive.« »Wen denn? Philip Marlowe? Jim Rockford? Sam Spade?«
»Du kannst richtig gemein sein.«
»Du zwingst mich ja dazu. Vielleicht bringt dich das wieder zu Verstand.«
»Mein Agent kennt zufälligerweise eine erstklassige Detektivagentur.«
»Ich sage dir, das ist keine Arbeit für Privatdetektive.« »Die tun alles, wofür man sie bezahlt.« »Nicht alles.«
»Aber das werden sie tun.« »Das ist Aufgabe der Polizei.«
»Die Polizei wird nur ihre Zeit damit vergeuden, nach bekannten Einbrechern, bekannten Notzuchttätern und bekannten –« »Das ist eine sehr gute, wirksame Vorgehensweise für Ermittlungen«, meinte Tony.
»Aber diesmal wird sie nicht funktionieren.« »Warum? Weil der Täter ein Toter war?« »Genau deshalb.«
»Und deshalb meinst du, die Polizei sollte vielleicht nach bekannten toten Einbrechern und Notzuchttätern suchen?« Der Blick, den sie ihm zuwarf, bildete eine Mischung aus Zorn und Ekel.
»Der Schlüssel zu diesem Fall«, erklärte sie, »liegt darin, herauszufinden, warum Bruno Frye letzte Woche mausetot sein konnte – und heute nacht wieder lebte.« »Hör' dir doch selbst einmal zu!«
Er machte sich wirklich Sorgen um sie. Ihre hartnäckige Unvernunft ängstigte ihn.
»Ich weiß, was ich gesagt habe«, erklärte sie. »Und ich weiß auch, was ich gesehen habe. Und es ist nicht etwa nur so, daß ich Bruno Frye jetzt in diesem Haus gesehen habe. Ich habe ihn auch gehört, genau diese typische kehlige Stimme vernommen, seine Stimme. Ich habe ihn gesehen und gehört, wie er drohte, mir den Kopf abzuschneiden und mir Knoblauch in den Mund zu stopfen, als würde er mich für einen Vampir oder so etwas halten.« Vampir.
Das Wort versetzte Tony einen Schock,
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