Flüstern in der Nacht
zu bringen, ob Bruno Frye weitere Geheimkonten besaß. Bis Sackett nach St. Helena käme, würden wenigstens noch ein oder zwei Tage vergehen. Und falls er nicht in der ersten Woche seiner Ermittlungen auf irgendwelche Hinweise stieß, würde er möglicherweise den Fall weiterhin nur noch zeitweise bearbeiten. Nach Beendigung der Befragungen wandte Joshua sich Ronald Preston zu und meinte: »Ich nehme doch an, daß die fehlenden achtzehntausend in Kürze ersetzt werden.« »Nun...« Preston zupfte nervös an seinem adretten kleinen Schnurrbärtchen. »Wir müssen abwarten, bis die Bankenaufsicht ihre Zustimmung gibt.«
Joshua schaute Sackett an. »Gehe ich recht in der Annahme, daß die Bankenaufsicht so lange abwarten will, bis Sie ihr die Gewähr liefern, daß weder ich, noch irgendein Erbberechtigter in irgendeiner Weise an der Abhebung dieser achtzehntausend Dollar beteiligt waren?«
»Das könnte durchaus sein«, meinte Sackett. »Schließlich handelt es sich um einen höchst ungewöhnlichen Fall.« »Aber ehe Sie eine solche Versicherung abgeben können, wird möglicherweise sehr viel Zeit vergehen«, fuhr Joshua fort. »Wir werden dafür sorgen, daß Sie nicht ungewöhnlich lange warten müssen«, meinte Sackett. »Im äußersten Fall drei Monate.«
Joshua seufzte. »Und ich hatte gehofft, die Erbschaft schnell abwickeln zu können.«
Sackett zuckte die Achseln. »Vielleicht brauche ich keine drei Monate. Alles könnte sich auch schnell klären lassen. Man kann nie wissen. Möglicherweise mache ich sogar in ein oder zwei Tagen diesen Burschen ausfindig, der Frye so verblüffend ähnelt. Dann könnte ich der Versicherung grünes Licht geben.«
»Aber Sie rechnen doch nicht damit, den Fall schnell zu lösen?«
»Dazu ist alles wirklich etwas zu verwirrend. Ich kann mich nicht auf einen Termin festlegen«, pflichtete Sackett ihm bei. »Verdammt!« entgegnete Joshua bedrückt. Einige Minuten später beim Verlassen der Bank ging Joshua durch die mit Marmor belegte Schalterhalle, als Mrs. Willis ihm zurief. Sie hatte an einem der Schalter Dienst. Er ging zu ihr, und sie meinte: »Wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle veranlassen würde?« »Was denn?« fragte Joshua.
»Ihn ausgraben. Diesen Mann, den Sie begraben haben. Graben Sie ihn wieder aus.«
»Bruno Frye?«
»Sie haben nicht Mr. Frye begraben.« Mrs. Willis ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen; sie preßte die Lippen zusammen und schüttelte mit strenger Miene den Kopf. »Nein. Wenn Mr. Frye wirklich ein Double hat, dann läuft dieses Double jetzt nicht herum. Dieses Double liegt sechs Fuß tief unter der Erde, mit einer Granitplatte bedeckt. Der echte Mr. Frye war letzten Donnerstag hier. Das würde ich vor jedem Gericht beschwören. Und wenn mein Leben davon abhinge.« »Aber wenn der Mann, der in Los Angeles getötet wurde, nicht Frye war – wo befindet sich dann der echte Frye jetzt? Warum ist er weggelaufen? Was, in aller Welt, geht hier vor?« »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen«, erklärte sie. »Ich weiß nur, was ich gesehen habe. Graben Sie ihn aus, Mr. Rhinehart. Ich bin fest davon überzeugt, Sie werden dann feststellen, daß Sie den falschen Mann begraben haben.«
Am Mittwochnachmittag gegen 15.20 Uhr landete Joshua auf dem Bezirksflughafen außerhalb von Napa. Bei einer Bevölkerungszahl von fünfundvierzigtausend galt Napa keineswegs als Großstadt; infolge seiner Lage mitten in einer Weingegend wirkte es sogar noch kleiner und gemütlicher als in Wirklichkeit; aber Joshua, der sich seit langer Zeit an den ländlichen Frieden des winzigen St. Helena gewöhnt hatte, empfand Napa als ebenso laut und lästig, wie San Franzisko. Es drängte ihn daher, möglichst schnell wieder von dort wegzukommen. Sein Wagen stand auf dem öffentlichen Parkplatz am Flughafen, dort, wo er ihn am Morgen abgestellt hatte. Er fuhr weder nach Hause noch in sein Büro, sondern geradewegs zu Bruno Fryes Haus in St. Helena.
Unter normalen Umständen pflegte Joshua sich die Schönheit des Tales stets bewußt zu machen – nicht aber heute. Diesmal fuhr er gleichsam mit Scheuklappen übers Land, bis der Fryesche Besitz vor ihm auftauchte.
Einen Teil des Weingutes bildete ebenes, fruchtbares Land, aber der größte Teil erstreckte sich über die sanften Hügel im Westen des Tales. Die Kelterei, der für die Öffentlichkeit zugängliche Probiersaal, die ausgedehnten Kellereien und die anderen Geschäftsbauten – alle massive Bauwerke aus behauenem
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