Flüstern in der Nacht
redlich Mühe, munter und amüsant zu wirken, weil sie spürte, daß die Beerdigung Tony deprimiert und in ihm die schreckliche Erinnerung an die Schießerei am Montagmorgen wachgerufen hatte. Zuerst saß er brütend und zusammengekauert in seinem Sitz und gab ihr kaum Antwort. Nach einer Weile aber schien er zu bemerken, daß sie sich bemühte, ihn aufzumuntern, fand sein Lächeln wieder und begann langsam, seine Deprimiertheit abzulegen. Sie landeten pünktlich auf dem Internationalen Flughafen von San Franzisko, aber die 14.00-Uhr-Maschine nach Napa würde erst um 15.00 Uhr fliegen, weil es irgendwelche technischen Schwierigkeiten gab.
Um die Zeit totzuschlagen, aßen sie in einem Flughafenrestaurant mit Ausblick auf die Start- und Landebahnen zu Mittag. Der erstaunlich gute Kaffee schien das einzige zu sein, was für das Lokal sprach; die belegten Brote schmeckten nach Gummi, und die Pommes frites waren weich und klebrig. Die Zeit des Abflugs rückte immer näher und Hilary fing an, sichtlich unruhig zu werden. Das Gefühl steigerte sich von Minute zu Minute.
Tony bemerkte die Veränderung an ihr. »Was ist denn?«
»Das weiß ich nicht so recht. Mir ist nur ... Nun, ich habe einfach das Gefühl, wir könnten einen schrecklichen Fehler machen. Vielleicht rennen wir geradewegs in die Höhle des Löwen.«
»Frye ist in Los Angeles. Er kann unmöglich wissen, daß du nach St. Helena fliegst«, entgegnete Tony. »Wirklich nicht?«
»Bist du immer noch davon überzeugt, daß sich hier etwas Übernatürliches tut, etwas mit Geistern und Untoten und solchem Zeug?«
»Ich schließe überhaupt nichts aus.« »Wir werden am Ende eine logische Erklärung finden.« »Nun, mag ja sein, aber ich habe trotzdem dieses unheimliche Gefühl ... diese Vorahnung.« »Eine Vorahnung wovon?«
»Daß noch viel schlimmere Dinge passieren werden«, antwortete sie.
Nach einem hastigen, aber ausgezeichneten Lunch im Vorstandskasino der First Pacific United Bank trafen sich Joshua Rhinehart und Ronald Preston im Büro des Bankers mit Beamten der staatlichen Bankenaufsicht. Die Bürokraten wirkten langweilig, schlecht vorbereitet und offenkundig nicht sonderlich kompetent, aber Joshua nahm das hin, beantwortete ihre Fragen und füllte die Formulare aus, die sie ihm vorlegten, da nur so Aussicht bestand, über das staatliche Versicherungssystem das gestohlene Geld für Fryes Erben zurückzuerhalten. Die Beamten wollten gerade gehen, da traf Warren Sackett, ein Mitarbeiter des FBI, ein. Da es sich um Diebstahl aus einer unter Bundesaufsicht stehenden Bank handelte, war das FBI für die Aufklärung der Tat zuständig. Sackett – ein hochgewachsener, aufmerksamer Mann mit wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen – setzte sich mit Joshua und Preston an den Konferenztisch und förderte in der Hälfte der Zeit doppelt soviel Informationen zutage, wie das ganze Rudel Bürokraten ausfindig gemacht hätten. Er informierte Joshua davon, daß im Rahmen der Ermittlungsarbeiten auch sehr detaillierte Auskünfte über ihn eingeholt werden würden, aber das war Joshua bereits bekannt, und er hatte keinen Grund, sich davor zu fürchten. Sackett schloß sich der Meinung an, Hilary Thomas würde sich möglicherweise in Gefahr befinden, und übernahm es, die Polizeibehörden von Los Angeles über die ungewöhnliche Situation zu informieren, um damit sicherzustellen, daß sowohl die Polizei als auch das Los-Angeles-Büro des FBI sich ihrer annehmen konnten.
Obwohl Sackett höflich, kompetent und gründlich vorging, war Joshua bewußt, daß das FBI den Fall keineswegs in wenigen Tagen aufklären würde – es sei denn, der falsche Bruno Frye suchte von sich aus ihr Büro auf und legte dort ein Geständnis ab. Schließlich schien das für das FBI kein Fall von besonderer Dringlichkeit. In einem Land, das von verschiedensten terroristischen Gruppierungen, organisierten verbrecherischen Familien, der Mafia und korrupten Politikern heimgesucht wurde, konnte man natürlich nicht damit rechnen, daß das FBI alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen in vollem Ausmaß für einen Achtzehntausend-Dollar-Fall dieser Art einsetzen würde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde Sackett sich als einziger hauptberuflicher FBI-Agent der Angelegenheit annehmen, zunächst ganz langsam anfangen und alle Beteiligten gründlich überprüfen; anschließend müßte er eine erschöpfende Untersuchung der Banken im nördlichen Kalifornien durchführen, um in Erfahrung
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