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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Beispiel aus seiner Stilepoche darzustellen. In dem riesigen Arbeitsraum standen fünf- oder sechshundert seltene Bücher, viele davon in Leder gebundene Sammlerausgaben; und dann gab es ein paar Dutzend perfekter kleiner Schnitzereien aus Walknochen in einer eigenen Vitrine, und schließlich sechs unvorstellbar wertvolle, makellose Kristallkugeln, eine so klein wie eine Orange, bis hin zur Größe eines Basketballs. Joshua zog die Vorhänge zurück, so daß ein wenig Licht hereinkam, knipste eine Messinglampe an und setzte sich in einen modernen gefederten Bürostuhl hinter den mächtigen englischen Schreibtisch aus dem 18. Jahrhundert. Er holte den seltsamen Brief, den er in dem Schließfach der First Pacific United Bank gefunden hatte, aus seiner Jackettasche. Tatsächlich handelte es sich nur um eine Fotokopie; Warren Sackett, der FBI-Agent, bestand darauf, das Original zu behalten. Joshua entfaltete die Kopie und legte sie so hin, daß er sie gut sehen konnte. Er drehte sich zu dem niedrigen Schreibmaschinenpult hin, das neben dem Schreibtisch stand, zog es ein wenig heran, schob ein Blatt Papier in die Walze und tippte schnell den ersten Satz des Briefes.
     
    Meine Mutter, Katherine Anne Frye, ist vor fünf Jahren gestorben, kehrt aber immer wieder in einem neuen Körper ins Leben zurück.
     
    Er hielt die Fotokopie vergleichend daneben. Es handelte sich um dieselbe Maschinenschrift. Auf beiden Blättern war die Schleife des kleinen ›e‹ völlig mit Druckerschwärze gefüllt, weil die Typen schon seit einer Weile nicht mehr gereinigt worden waren. Die Schleife beim kleinen ›a‹ war in beiden Fällen teilweise gefüllt, und das kleine ›d‹ stand etwas höher als die anderen Buchstaben. Der Brief wurde also in Bruno Fryes Arbeitszimmer auf Bruno Fryes Maschine getippt. Der Doppelgänger, jener Mann, der sich letzten Donnerstag in der Bank in San Franzisko als Frye ausgab, besaß anscheinend einen Schlüssel zum Haus. Aber wie war er an ihn rangekommen? Die nächstliegende Antwort auf die Frage wäre, daß Bruno selbst ihn hergegeben hatte, was bedeutete, daß der Mann doch ein Angestellter, ein bezahltes Double sein müßte.
    Joshua lehnte sich im Sessel zurück und starrte die Fotokopie des Briefes an, wobei ein ganzes Feuerwerk von Fragen in ihm hochkam. Warum hatte Bruno ein Double eingestellt? Wo hatte er jemanden gefunden, der ihm so verblüffend ähnelte? Seit wann war dieses Double schon für ihn tätig? Und womit hatte er den Mann beschäftigt? Und wie oft hatte er, Joshua, vielleicht schon mit diesem Doppelgänger verhandelt, in der Meinung, der Mann wäre in Wirklichkeit Frye? Wahrscheinlich mehr als nur einmal, wahrscheinlich sogar häufiger als mit dem echten Bruno. Es gab keine Möglichkeit, das zu erfahren. War das Double am Donnerstagmorgen hier im Haus gewesen, als Bruno in Los Angeles starb? Höchstwahrscheinlich. Schließlich hatte er hier den Brief getippt, den er in das Schließfach legte, also mußte er auch hier die Nachricht erhalten haben. Aber wie hatte er so schnell von Brunos Tod erfahren? Man fand Brunos Leiche neben einer öffentlichen Telefonzelle ... War es möglich, daß Brunos letzte Handlung darin bestanden hatte, zu Hause anzurufen und mit seinem Double zu sprechen? Ja. Möglich. Sogar wahrscheinlich. Man würde die Aufzeichnungen der Telefongesellschaft überprüfen müssen. Aber was hatten jene zwei Männer miteinander gesprochen, als der eine im Sterben lag? Konnte es sein, daß sie beide an derselben Psychose litten, nämlich der Überzeugung, Katherine sei aus dem Grab zurückgekehrt? Joshua schauderte. Er faltete den Brief zusammen und schob ihn in seine Jackettasche zurück.
    Zum erstenmal wurde ihm bewußt, wie düster diese Räume wirkten – mit Möbeln und teuren Gegenständen vollgestopft, die Fenster mit schweren Gardinen verhangen, die Böden mit dunklen Teppichen ausgelegt. Plötzlich erschien ihm dieses Haus noch viel isolierter als Leos Zuflucht oben auf dem Berg.
    Ein Geräusch. In einem anderen Raum. Joshua stand auf, schickte sich an, um den Tisch herumzugehen und erstarrte dann. Er wartete, lauschte. »Phantasie«, sagte er, bemüht, sich selbst zu beruhigen. Er ging schnell durch das Haus zur Eingangstür und vergewisserte sich dort, daß das Geräusch tatsächlich nur eine Ausgeburt seiner Phantasie darstellte. Niemand bedrohte ihn. Dennoch seufzte er erleichtert, als er draußen anlangte, die Tür hinter sich schloß und versperrte.
     
    Dann,

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