Flüstern in der Nacht
Joshua Rhinehart. Ich rufe aus St. Helena an. Ich verwalte den Nachlaß von Bruno Frye.« Sie gab keine Antwort. »Mrs. Yancy?«
»Sie meinen, er ist tot?« fragte sie. »Das wußten Sie nicht?« »Woher sollte ich das wissen?« »Es stand in den Zeitungen.«
»Ich lese nie Zeitung«, antwortete sie. Ihre Stimme hatte sich verändert; sie klang nicht mehr angenehm, sondern eher hart und kalt.
»Er ist letzten Donnerstag gestorben«, erzählte Joshua. Sie blieb stumm.
»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?« fragte er. »Was wollen Sie von mir?«
»Nun, eine meiner Obliegenheiten als Nachlaßverwalter besteht darin, dafür zu sorgen, daß sämtliche Verpflichtungen Mr. Fryes bezahlt sind, ehe der Nachlaß an die Erben verteilt wird.« »Und?«
»Ich habe festgestellt, daß Mr. Frye Ihnen fünfhundert Dollar pro Monat bezahlt hat, und ich dachte, es könnte sich dabei um Ratenzahlungen für irgendeine Verbindlichkeit handeln.« Sie gab keine Antwort. Er konnte sie atmen hören. »Mrs. Yancy?«
»Er schuldet mir keinen Penny«, entgegnete sie steif. »Dann hat er keine Schuld abbezahlt?« »Nein«, antwortete sie.
»Waren Sie in irgendeiner Form für ihn tätig?« Sie zögerte. Dann: Klick! »Mrs. Yancy?«
Keine Antwort. Nur das Zischen der Fernleitung, ein weitentferntes Knistern und Störgeräusche. Joshua wählte erneut ihre Nummer. »Hallo?« sagte sie.
»Ich bin es, Mrs. Yancy. Wir sind offenbar unterbrochen worden.« Klick!
Er überlegte, ob er sie ein drittes Mal anrufen sollte, aber wahrscheinlich würde sie wieder auflegen. Sie verstellte sich nicht sonderlich gut; offenbar besaß sie ein Geheimnis, ein Geheimnis, das sie mit Bruno geteilt hatte, und das sie jetzt vor Joshua verbergen wollte. Dabei hatte sie seine Neugierde nur geschürt. Er schien mehr denn je davon überzeugt, jeder der Leute, die über dieses Bankkonto in San Franzisko Geld erhielten, würde ihm etwas sagen können, ihm bei der Aufklärung des Geheimnisses um Bruno Fryes Doppelgänger helfen können. Er müßte sie nur alle zum Reden bringen. Vielleicht könnte er den Nachlaß dann doch noch recht schnell abwickeln. Während er den Hörer auflegte, sagte er sich: »So leicht entkommst du mir nicht, Rita.«
Morgen würde er mit seiner Cessna nach Hollister fliegen und sie sich persönlich vornehmen.
Anschließend rief er Dr. Nicholas Rudge an, geriet an einen Auftragsdienst und hinterließ dort eine Nachricht mit seiner Privat- und seiner Büronummer.
Beim dritten Gespräch wurde er fündig, wenn auch nicht in dem Maße, wie er sich das erhofft hatte. Latham Hawthorne war zu Hause und bereit, Auskunft zu geben. Der Okkultist sprach mit nasaler Stimme und der Andeutung eines britischen Akzentes.
»Ich habe ihm eine ganze Menge Bücher verkauft«, meinte Hawthorne als Antwort auf Joshuas erste Frage. »Einfach nur Bücher?« »Richtig.« »Eine beträchtliche Geldsumme nur für Bücher.«
»Er war ein hervorragender Kunde.« »Aber hundert-dreißigtausend Dollar?« »Im Lauf von fünf Jahren.« »Trotzdem –«
»Bei den meisten handelte es sich um äußerst seltene Bücher, müssen Sie wissen.«
»Sind Sie daran interessiert, sie aus dem Nachlaß zurückzukaufen?« fragte Joshua, um herauszufinden, ob der Mann ehrlich antwortete.
»Sie zurückkaufen? O ja, mit dem größten Vergnügen. Ganz bestimmt.« »Wieviel?«
»Nun, das kann ich nicht genau sagen; ich muß sie mir ansehen.«
»Probieren Sie's doch einfach. Einfach so. Wieviel?« »Nun, sehen Sie, wenn die Bücher mißbraucht wurden – zerfetzt, ausgefranst oder mit Eselsohren versehen –, dann wäre das eine ganz andere Geschichte.«
»Nehmen wir einmal an, sie wären makellos – wieviel würden Sie bieten?«
»Wenn sie sich noch in dem Zustand befinden, in dem ich sie an Mr. Frye verkaufte, dann bin ich bereit, Ihnen ein ganzes Stück mehr dafür zu bieten, als er ursprünglich dafür bezahlt hat. Eine ganze Anzahl Titel seiner Sammlung sind im Wert gestiegen.«
»Wieviel?« fragte Joshua. »Sie sind sehr hartnäckig.«
»Eine meiner vielen Tugenden. Kommen Sie schon, Mr. Hawthorne, ich erwarte ja nicht, daß Sie mir ein bindendes Angebot machen. Nur eine Schätzung.«
»Nun, falls die Sammlung vollständig ist und jedes Buch enthält, das ich ihm verkauft habe, und falls alle Bücher sich in erstklassigem Zustand befinden ... würde ich sagen ... man muß schließlich auch meinen Gewinn berücksichtigen ... etwa zweihunderttausend Dollar.« »Sie würden
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