Flüstern in der Nacht
dieselben Bücher für siebzigtausend mehr zurückkaufen, als er Ihnen bezahlt hat?« »Ja, mal grob geschätzt.«
»Das bedeutet ja einen beachtlichen Wertzuwachs.« »Das liegt an dem großen Interesse«, meinte Hawthorne. »Es kommen Tag für Tag neue Interessenten hinzu.« »Um was für einen Bereich handelt es sich?« fragte Joshua. »Was für Bücher hat er denn gesammelt?« »Haben Sie sie sich nicht angesehen?«
»Ich nehme an, daß sie auf den Bücherregalen in seinem Arbeitszimmer stehen«, entgegnete Joshua. »Viele davon scheinen sehr alt zu sein, und eine ganze Menge sind in Leder gebunden. Ich war mir der Außergewöhnlichkeit nicht bewußt. Ich habe mir nicht die Zeit genommen, sie eingehender zu betrachten.« »Es handelt sich um okkulte Titel«, meinte Hawthorne. »Ich verkaufe ausschließlich Bücher, die sich mit dem Okkulten in all seinen Manifestationen befassen. Ein großer Teil meiner Ware umfaßt sozusagen verbotene Bücher, Bücher, die zu anderen Zeiten von Kirche oder Staat mit dem Bann belegt waren, Bücher, die unsere modernen skeptischen Verleger nicht wieder aufgegriffen haben. Bücher in begrenzten Auflagen. Zu mir kommen mehr als zweihundert regelmäßige Kunden. Einer zum Beispiel, ein Herr in San Jose, sammelt ausschließlich Bücher über Hindu-Mystik. Eine Frau in Marin County hat inzwischen eine riesige Bibliothek über Satanismus aufgebaut, darunter ein Dutzend obskure Titel, die nur in lateinischer Sprache vorliegen. Eine andere Frau in Seattle kaufte buchstäblich jedes jemals gedruckte Wort über Entkörperlichung. Ich kann für jeden Geschmack etwas liefern. Wenn ich behaupte, der angesehenste, verläßlichste Händler für okkulte Literatur in diesem Land zu sein, will ich damit sicherlich nicht nur mein Ego aufpolieren.«
»Aber ganz sicher gibt doch nicht jeder Ihrer Kunden soviel Geld aus wie Mr. Frye.«
»Oh, selbstverständlich nicht. Nur noch zwei oder drei andere Kunden verfügen über solche Mittel. Aber ich habe ein Dutzend Kunden, die etwa zehntausend Dollar im Jahr für die Bücher ausgeben.«
»Das ist ja unglaublich«, meinte Joshua. »Eigentlich nicht«, antwortete Hawthorne. »Diese Leute sind überzeugt davon, an der Schwelle einer großen Entdeckung zu stehen, einer monumentalen Erkenntnis, nahe einem Geheimnis, dem Rätsel des Lebens auf der Spur. Einige von ihnen sind auf der Suche nach der Unsterblichkeit, andere wollen Zaubersprüche und Rituale entdecken, die ihnen grenzenlosen Reichtum oder unbegrenzte Macht über andere Menschen verleihen, Motive, die durchaus überzeugen können. Wenn diese Leute ernsthaft glauben, nur noch ein wenig mehr verbotenes Wissen würde ihnen derlei Kraft bringen, dann bezahlen sie praktisch jeden Preis dafür, in den Besitz dieses Wissens zu gelangen.«
Joshua drehte sich in seinem Sessel herum und schaute zum Fenster hinaus. Von Westen trieben tiefhängende graue Wolken über die Gipfel der Mayacamas-Berge herein und senkten sich über das Tal.
»Welcher Aspekt des Okkulten hat denn Mr. Frye besonders interessiert?« fragte Joshua.
»Er sammelte zwei Arten von Büchern, die sich beide mit demselben allgemeinen Thema befaßten«, erklärte Hawthorne. »Ihn faszinierte die Möglichkeit der Kommunikation mit Toten: Seancen, Tischerücken, Geisterstimmen, ektoplasmische Erscheinungen, Verstärkung von Ätheraufzeichnungen, automatische Schrift und derlei Dinge. Sein größtes Interesse galt der Literatur über Untote.«
»Vampire?« fragte Joshua und dachte an den eigenartigen Brief in dem Schließfach.
»Ja«, erwiderte Hawthorne. »Vampire, Zombies, Geschöpfe dieser Art. Er konnte nicht genug Bücher über dieses Thema bekommen. Ich meine damit nicht, daß er sich für Horrorromane und billige Sensationen interessierte. Er sammelte nur ernsthafte Studien zu diesem Thema – und gewisse ausgewählte Esoterik.« »Was zum Beispiel?«
»Nun ... in der Kategorie Esoterika ... hat er beispielsweise sechstausend Dollar für das handschriftliche Tagebuch des Christian Marsden bezahlt.«
»Wer ist Christian Marsden?« fragte Joshua ahnungslos. »Vor vierzehn Jahren wurde Marsden wegen Mordes an neun Menschen in San Franzisko und Umgebung verhaftet. Die Presse nannte ihn den Golden-Gate-Vampir, weil er immer das Blut seiner Opfer trank.« »O nein«, meinte Joshua schockiert. »Und er hat seine Opfer zerlegt.« »Ja.«
»Ihnen die Arme, die Beine und den Kopf abgeschnitten.« »Ja, schrecklich, ich erinnere mich
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