Flüstern in der Nacht
Geschäfte zu machen. Er beschloß, den Okkultisten hinzuhalten, bis die anderen Sachverständigen die Bücher gesehen hatten. Vielleicht würde einer jener Männer den Wert der Sammlung erkennen und ein angemessenes Angebot machen; dann würde es nicht nötig sein, sich mit Latham Hawthorne einzulassen.
»Ich muß da wieder auf Sie zukommen«, meinte Joshua. »Vorher gibt es eine ganze Menge anderer Dinge zu erledigen. Es handelt sich um einen umfangreichen, ziemlich komplizierten Nachlaß. Es wird ein paar Wochen dauern, das alles in Ordnung zu bringen.« »Ich erwarte Ihren Anruf.«
»Zwei Dinge noch, ehe Sie auflegen«, bat Joshua. »Ja?«
»Hat Mr. Frye erwähnt, weshalb er eine solch panische Angst vor seiner Mutter hatte?« »Ich weiß nicht, was sie ihm angetan hat«, entgegnete Hawthorne, »aber er haßte sie aus ganzem Herzen. Ich habe noch nie solch unverhohlenen schwarzen Haß erlebt, sobald er von ihr sprach.«
»Ich kannte sie beide«, meinte Joshua. »Ich habe nie dergleichen bemerkt, dachte sogar immer, er würde sie verehren.« »Dann muß es sich um einen geheimen Haß gehandelt haben, den er lange, lange Zeit in sich hegte«, entgegnete Hawthorne.
»Was kann sie ihm nur angetan haben?« »Wie ich schon sagte, er hat davon mir gegenüber nie etwas erwähnt. Aber es mußte etwas dahinterstecken, etwas so Schlimmes, daß er nicht einmal darüber reden konnte. Sie sagten, es gäbe zwei Dinge, die Sie noch wissen wollten. Was war das andere?«
»Hat Bruno ein Double erwähnt?« »Double?«
»Jemanden, der aussah wie er. Jemanden, der sich für ihn ausgab.«
»Bedenkt man seine Größe und seine ungewöhnliche Stimme, so würde es nicht leicht sein, ein Double für ihn zu finden.«
»Allem Anschein nach hat er es aber geschafft. Ich versuche herauszufinden, weshalb er dies für nötig erachtete.« »Kann Ihnen das der Doppelgänger nicht sagen? Er muß doch wissen, warum man ihn einstellte.« »Ich habe Schwierigkeiten, ihn ausfindig zu machen.« »Verstehe«, erwiderte Hawthorne. »Nun, mir gegenüber hat Mr. Frye nie ein Wort darüber verloren. Aber mir kam gerade in den Sinn ...« »Ja?«
»Ein Grund, weshalb er vielleicht ein Double benutzen könnte.«
»Und der wäre?« fragte Joshua.
»Um seine Mutter zu verwirren, wenn sie aus dem Grab zurückkam und nach ihm Ausschau hielt.« »Natürlich«, entgegnete Joshua sarkastisch. »Wie unvernünftig von mir, nicht daran zu denken.« »Sie mißverstehen mich«, erklärte Hawthorne. »Ich weiß, dass Sie Skeptiker sind. Ich sage ja nicht, daß sie tatsächlich aus dem Grab zurückgekehrt ist. Ich weiß nicht genug, um dazu Stellung zu beziehen. Aber Mr. Frye war absolut überzeugt, daß sie zurückkäme . Vielleicht dachte er, ein Double könnte ihm ausreichend Schutz bieten.«
Joshua mußte zugeben, daß Hawthornes Idee einiges für sich hatte. »Sie wollen damit andeuten, ich käme der Sache am leichtesten auf den Grund, wenn ich mich in Fryes Vorstellungswelt versetzen könnte und versuchte, so zu denken wie er, wie ein paranoider Schizophrener.« »Wenn er das wirklich war«, erklärte Hawthorne. »Wie ich schon sagte – ich versuche da völlig objektiv zu bleiben und mich über nichts lustig zu machen.«
»Und ich mache mich über alles lustig«, erwiderte Joshua ernst. »Nun ... vielen Dank, daß Sie sich soviel Zeit für mich genommen haben, Mr. Hawthorne.« »Gar keine Ursache. Ich erwarte also Ihren Anruf.« Da können Sie schwarz werden, dachte Joshua. Er legte den Hörer auf, erhob sich, trat an das große Fenster und starrte hinaus aufs Tal. Das Land überzog sich jetzt unter den grauen Wolken und den purpurblauen Rändern der heraufziehenden Finsternis mit Schatten. Der Tag schien viel zu schnell in die Nacht überzugehen. Und ein plötzlicher kalter Windstoß, der die Fensterscheiben beben ließ, erinnerte Joshua daran, daß der Herbst mit derselben unnatürlichen Hast dem Winter das Feld räumen würde. Der Abend gehörte eher dem düsteren, regnerischen Januar und nicht etwa dem frühen Oktober an.
Latham Hawthornes Worte kreisten in Joshuas Gedankenwelt wie dunkle Fäden eines schwarzen Gewebes auf dem Webstuhl irgendeiner monströsen Spinne: Seine Zeit naht, Mr. Rhinehart. Die Zeichen künden es. Sehr bald schon. In den letzten vielleicht fünfzehn Jahren etwa schien es, als würde es mit der Welt bergab gehen, ohne Bremsen, völlig außer Kontrolle. Es lebten eine Unmenge der seltsamsten Leute dort
Weitere Kostenlose Bücher