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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schlief im hinteren Teil des blauen Dodge-Lieferwagens auf dem Parkplatz eines Supermarktes bis elf Uhr vormittags. Dann hatte ihn der Alptraum geweckt, ein eindringliches, drohendes Wispern. Eine Weile saß er in dem stickigen, schwach beleuchteten Laderaum des Lieferwagens, die Knie angezogen, von einem so verzweifelten Gefühl des Alleinseins und der Angst erfüllt, daß er wie ein kleines Kind wimmerte und weinte.
    Ich bin tot, dachte er. Tot. Das Miststück hat mich umgebracht. Tot. Dieses widerwärtige, stinkende Miststück hat mir ein Messer in den Bauch gerammt.
    Als sein Weinen langsam nachließ, kam ihm ein eigenartiger, irgendwie beunruhigender Gedanke: Wenn ich tot bin ... wie kann ich dann jetzt hier sitzen? Wie kann ich zur gleichen Zeit tot und lebendig sein?
    Er betastete mit beiden Händen seinen Leib. Nichts tat weh, es gab keine Stichwunden, keine Narben. Und plötzlich kam wieder Klarheit in seine Gedanken. Plötzlich schien sich ein grauer Nebel von ihm zu lösen, und einen Augenblick lang leuchtete alles in einem kristallklaren, geradezu grellen Licht. Er begann sich zu fragen, ob Katherine wirklich aus dem Grab zurückgekehrt war. War Hilary Thomas etwa doch nur Hilary Thomas und gar nicht Katherine Anne Frye? War er verrückt, weil er sie töten wollte? Und all die anderen Frauen, die er in den letzten fünf Jahren getötet hatte – waren das tatsächlich neue Körper gewesen, in denen Katherine sich versteckt hielt? Oder handelte es sich um wirkliche Menschen, unschuldige Frauen, die den Tod gar nicht verdienten?
    Bruno saß in seinem Lieferwagen, benommen und von dieser neuen Einsicht überwältigt.
    Und das Wispern, das sich jede Nacht in seinen Schlaf drängte, das schreckliche Wispern, das ihm solche Furcht einjagte ...
    Plötzlich wußte er es – er mußte sich nur genügend konzentrieren, sorgfältigst die Erinnerungen seiner Kindheit erforschen, dann würde er herausfinden, was dieses Wispern bedeutete. Er erinnerte sich an die zwei schweren, in den Boden eingelassenen Holztüren. Er erinnerte sich daran, wie Katherine die Türen öffnete und ihn in die Finsternis hineinstieß. Er erinnerte sich daran, wie sie die Türen hinter ihm zuknallte und verriegelte. Er erinnerte sich an Stufen, die in die Tiefe führten, in die Erde hinein ... Nein!
    Er preßte sich die Hände an seine Ohren, als könne er damit ungewollte Erinnerungen ebenso leicht verdrängen wie unerwünschten Lärm.
    Der Schweiß lief ihm in dicken Tropfen von der Stirn. Er zitterte, bebte.
    »Nein!« flüsterte er. »Nein, nein, nein!« Solange er sich zurückerinnern konnte, wollte er herausfinden, wer in seinen Alpträumen wisperte. Nichts wünschte er sich sehnlicher als herauszufinden, was dieses Wispern ihm sagen wollte, um es danach vielleicht für immer aus seinem Schlaf verdrängen zu können. Aber jetzt im Begriff stehend, es zu erfahren, mußte er feststellen, daß das Wissen sich viel schrecklicher und qualvoller äußerte als jenes Geheimnis selbst, und so wandte er sich von Panik erfüllt von der schrecklichen Enthüllung ab, ehe sie ihm offenbart werden konnte. Jetzt erfüllte den Lieferwagen wieder jenes Wispern, zischelnde Stimmen, ein spukhaftes Murmeln. Bruno schrie furchterfüllt auf und wälzte sich auf dem Boden.
    Da waren sie wieder, diese seltsamen Geschöpfe, die über ihn hinwegkrabbelten. Sie versuchten, an seinen Armen hochzuklettern, über seine Brust, seinen Rücken, versuchten sein Gesicht zu erreichen, versuchten sich zwischen seinen Lippen hindurchzuzwängen, zwischen seinen Zähnen. Versuchten in seine Nasenlöcher einzudringen.
    Wimmernd um sich schlagend, wollte Bruno sie wegwischen, wand sich auf dem Boden.
    Aber die Dunkelheit nährte die Illusion; in dem Lieferwagen war es inzwischen zu hell, als daß die grotesken Halluzinationen ihre Substanz hätten behalten können. Er konnte sehen, daß nichts da war, und allmählich lockerte die Panik ihren Griff, und er erschlaffte.
    Ein paar Minuten lang saß er einfach da, den Rücken an die Wand gelehnt, betupfte sich das schweißüberströmte Gesicht mit einem Taschentuch und lauschte seinem keuchenden Atem, der mit der Zeit ruhiger wurde.
    Schließlich hielt er die Zeit wieder für gekommen, sich erneut nach dem Miststück umzusehen. Sie war irgendwo dort draußen, wartete, hielt sich irgendwo in der Stadt versteckt. Er mußte sie ausfindig machen, sie töten, ehe sie ihm zuvorkam und ihn tötete.
    Der kurze Augenblick geistiger Klarheit

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