Flüstern in der Nacht
Diamanten, beauftragte Hilary, die Kartoffeln in den Mikrowellenherd zu legen, hackte schnell etwas frischen Schnittlauch, um ihn der sauren Sahne beizufügen und entkorkte schließlich zwei Flaschen California Cabernet Sauvignon, einen sehr trockenen Rotwein aus dem nur wenige Kilometer von seinem Haus entfernten Robert-Mondavi-Weingut. Er schien die Küchenarbeit sehr wichtig zu nehmen, und Hilary erfreute sich an seiner betulichen Art.
In der kurzen Zeit, die sie ihn erst kannte, war der Anwalt Hilary bereits ans Herz gewachsen. Sie hatte sich bisher selten in der Gegenwart eines Menschen, den sie erst Stunden kannte, derart wohlgefühlt. Sein väterliches Gehabe, seine brummige Offenheit, sein Witz, seine Intelligenz und seine eigenartig beiläufig wirkende Höflichkeit trugen bei Hilary zu diesem Gefühl bei.
Sie aßen im Eßzimmer, einem behaglichen rustikalen Raum mit drei weißgetünchten Wänden und einer Klinkerwand, einem Eichenparkettboden und einer schweren Balkendecke. Hier und da prasselten ein paar Regentropfen gegen die bleigefaßten Fenster.
Als sie sich zum Essen setzten, meinte Joshua: »Eines möchte ich klarstellen – es wird nicht über Bruno Frye geredet, bis wir mit dem Steak fertig sind und den letzten Schluck dieses aufgezeichneten Weines getrunken, den Kaffee zu uns genommen und den letzten Schluck Brandy getrunken haben.« »Einverstanden«, erklärte Hilary.
»Ganz bestimmt«, pflichtete Tony bei. »Ich glaube, ich habe mein Gehirn schon vor einer ganzen Weile mit dem Thema überlastet. Es gibt weiß Gott andere Dinge auf der Welt, über die es sich zu reden lohnt.«
»Ja«, meinte Joshua. »Aber unglücklicherweise sind die meisten ebenso deprimierend wie Fryes Geschichte. Krieg, Terrorismus, Inflation und die Tatsache, daß die meisten Politiker inkompetent sind und –«
»– und Kunst, Musik, Kino, und die neusten Erkenntnisse der Medizin und die bevorstehende technologische Revolution, die unser Leben trotz aller Inkompetenz der Politiker ungeheuer verbessern wird«, fügte Hilary hinzu. Joshua schaute sie über den Tisch hinweg an. »Das sind ja ganz neue Züge an Ihnen.«
»Nun, ich dachte, ich muß Sie von Ihren Kassandrarufen weglocken.«
»Kassandra hatte aber recht, als sie Untergang und Zerstörung prophezeite«, entgegnete Joshua. »Nach einer Weile glaubte man ihr nur nicht mehr.«
»Wenn man Ihnen nicht glaubt«, meinte Hilary, »was nützt es dann, recht zu haben?«
»Oh, ich habe es aufgegeben, andere Menschen davon zu überzeugen, daß die Regierung unser einziger Feind ist und daß der große Bruder uns am Ende alle vernichten wird. Ich habe aufgehört, die Leute von hunderterlei Dingen überzeugen zu wollen, die mir offenkundig scheinen, ihnen aber gar nicht klar sind. Die meisten scheinen ohnehin zu dumm, um das zu begreifen. Aber es befriedigt mich ungemein, zu wissen, daß ich recht habe und jeden Tag den Beweis dafür in der Zeitung zu lesen. Ich weiß es, und das genügt mir.«
»Ah«, erklärte Hilary. »Mit anderen Worten, es ist Ihnen egal, ob die Welt unter unseren Füßen in Stücke fällt, solange Sie nur behaupten können: ›Ich habe es euch ja gleich gesagt.‹« »Autsch!« machte Joshua.
Tony lachte. »Sie müssen bei ihr vorsichtig sein, Joshua. Denken Sie daran, daß sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdient, Wortschöpfungen zu produzieren.« Eine dreiviertel Stunde lang redeten sie über alles mögliche, aber dann ertappten sie sich trotz ihres Gelübdes wieder beim Thema Bruno Frye, und zwar lange bevor sie Wein oder Kaffee und Brandy fertig ausgetrunken hatten. Einmal meinte Hilary: »Was könnte ihm Katherine wohl angetan haben, daß er sie allem Anschein nach so fürchtet und haßt?«
»Das ist dieselbe Frage, die ich Latham Hawthorne stellte«, entgegnete Joshua. »Und seine Antwort?«
»Er hat keine Ahnung«, meinte Joshua. »Mir fällt es immer noch schwer zu glauben, daß zwischen ihnen ein derartiger Haß bestand, ohne daß ich das in all den Jahren bemerkte. Katherine schien ihn geradezu zu vergöttern. Und Bruno betete sie an. Alle Leute in der Stadt hielten Katherine für so etwas wie eine Heilige, weil sie den Jungen selbstlos zu sich genommen hatte. Aber jetzt sieht es eher so aus, als wäre sie weniger eine Heilige als eine Teufelin gewesen.« »Moment mal«, antwortete Tony. »Sie hat ihn aufgenommen? Was wollen Sie damit sagen?«
»Genau das. Sie hätte das Kind auch in ein Waisenhaus geben können,
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