Flüstern in der Nacht
zu der Überzeugung, daß sie die ganze Zeit wußte, wo Hilary-Katherine sich versteckt hielt. Aber sie behielt ihr Geheimnis für sich; dafür verdiente sie den Tod.
Außerdem hatte er sie in Wirklichkeit gar nicht getötet, weil sie ja in irgendeinem neuen Körper ins Leben zurückkehren würde, einfach eine Person aus einem Körper verdrängte, der er rechtmäßig gehören würde. Nein, er durfte jetzt nicht an Sally denken, er mußte Hilary-Katherine finden. Sie lauerte immer noch irgendwo dort draußen auf ihn.
Er mußte sie ausfindigmachen und töten, ehe sie einen Weg finden würde, ihn zu töten.
Zumindest hatte Sally ihm einen winzigen Hinweis geliefert. Einen Namen. Topelis, Hilary Thomas' Agent. Topelis würde wahrscheinlich wissen, wo sie sich versteckt hielt.
Sie räumten das Geschirr weg; Joshua schenkte ihnen Wein nach, ehe er zu berichten begann, wie Bruno, der Waisenknabe, Alleinerbe des Fryeschen Besitzes wurde. Joshua hatte sich diese Kenntnisse über Jahre hinweg erworben, stückweise, von Katherine und anderen Leuten, die schon lange vor ihm in St. Helena lebten, lange vor der Eröffnung seiner Rechtsanwaltskanzlei.
1940, im Jahr von Brunos Geburt, war Katherine sechsundzwanzig und lebte immer noch bei ihrem Vater Leo in dem Haus auf der Klippe hoch über dem Weingut; sie hausten dort zusammen seit 1918, dem Todesjahr von Katherines Mutter. Katherine hatte nur ein knappes Jahr weg von zu Hause auf einem College in San Franzisko zugebracht; dann gab sie die Schule auf, anscheinend, weil sie sich außerhalb von St. Helena nicht wohlfühlte und weil sie obendrein abgestandenes Buchwissen, das sie nie benutzen würde, nicht erwerben wollte. Sie liebte das Tal und das mächtige alte viktorianische Haus oben auf der Klippe. Katherine war eine gutaussehende Frau und hätte wohl genügend Partner finden können, wenn sie nur gewollte hätte. Aber sie schien keinen Sinn für romantische Liebe zu haben. Trotz ihrer Jugend führte ihre introvertierte Persönlichkeit und die kühle ablehnende Haltung Männern gegenüber dazu, daß die meisten ihrer Bekannten überzeugt davon waren, daß sie eines Tages als alte Jungfer enden und sich in dieser Rolle auch noch wohlfühlen würde. Und dann erhielt Katherine im Januar 1940 einen Anruf von einer Freundin, Mary Günther, einer Kollegin aus dem College. Mary brauchte Hilfe. Sie hatte einen Mann kennengelernt, der ihr die Ehe versprochen, sie mit Vorwänden hingehalten und dann im sechsten Monat Schwangerschaft sitzengelassen hatte. Mary war fast mittellos und besaß auch keine Familie, die ihr hätte helfen können; sie kannte niemanden außer Katherine, der ihr nahestand. Sie bat Katherine, in ein paar Monaten, nach der Geburt des Babys, nach San Franzisko zu kommen; Mary wollte in dieser schweren Zeit nicht allein sein. Außerdem sollte Katherine für das Baby sorgen, bis sie, Mary, eine Stelle finden und dem Kind ein ordentliches Zuhause bieten könnte. Katherine erklärte sich einverstanden und erzählte allen Leuten in St. Helena, daß sie eine Zeitlang so etwas wie eine Ersatzmutter spielen würde. Sie schien von der Aussicht darauf so erregt und beglückt, daß ihre Nachbarn meinten, sie würde auch bei eigenen Kindern eine wunderbare Mutter abgeben, fände sie nur endlich einen Mann, der sie heirate und Vater jener Kinder werden würde. Sechs Wochen nach Mary Günthers Anruf und genau sechs Wochen vor Katherines Abreise nach San Franzisko, erlitt Leo einen Gehirnschlag und starb mitten zwischen den hohen Eichenfässern in einem der ausgedehnten Keller seines Weingutes. Katherine schien von dem Schicksalsschlag schwer getroffen und empfand große Trauer um ihren Vater; sie hatte auch schon angefangen, sich in die Führung des Familiengeschäftes einzuarbeiten, hielt aber dennoch das Versprechen, das sie Mary Günther gegeben hatte. Als Mary ihr daher im April telegrafisch die Geburt ihres Babys mitteilte, fuhr Katherine sofort nach San Franzisko. Sie blieb über zwei Wochen dort, und bei ihrer Rückkehr brachte sie ein winziges Baby mit, Bruno Günther, Marys erschreckend kleines, schwächliches Kind.
Katherine rechnete damit, Bruno etwa ein Jahr lang bei sich aufzuziehen – bis dahin würde Mary auf eigenen Füßen stehen und die Verantwortung für den Kleinen übernehmen können. Doch nach sechs Monaten kam die Nachricht, daß Mary erneut in Schwierigkeiten steckte, diesmal in viel schlimmeren – sie litt an Krebs und lag im Sterben. Ihr
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