Flüstern in der Nacht
ließ. In diesem Augenblick verflog seine Lethargie, und neue Energien erfüllten ihn; sein volles Bewußtsein schien plötzlich wieder zurückgekehrt.
Er erinnerte sich an seinen Tod; eine Hälfte von ihm war tot. Dieses Miststück hatte ihn letzte Woche erstochen, in Los Angeles. Jetzt schien er gleichzeitig tot und am Leben zu sein. Ein tiefes Gefühl von Besorgnis wallte in ihm auf. Tränen traten ihm in die Augen.
Plötzlich wurde ihm klar, daß er sich nicht mehr selbst umarmen und festhalten konnte, wie er das früher getan hatte. Niemals mehr.
Er konnte sich nicht mehr selbst liebkosen oder von sich selbst liebkost werden wie früher. Nie wieder. Jetzt besaß er nur noch zwei Hände, nicht vier, nur einen Penis, nicht zwei; nur einen Mund, nicht zwei. Nie wieder würde er sich selbst küssen können, nie wieder seine zwei Zungen spüren, die einander liebkosten. Nie wieder.
Seine andere Hälfte war tot. Er weinte. Nie wieder würde er Sex mit sich selbst machen können wie tausend Mal in der Vergangenheit. Es gäbe für ihn nun, außer seiner Hand, keinen Liebhaber mehr, nur noch die beschränkten Freuden der Masturbation. Er war allein. Für alle Zeit.
Eine Weile stand er weinend vor dem Spiegel, die breiten Schultern vom schrecklichen Gewicht der Verzweiflung gebeugt. Aber dann machte langsam das unerträgliche Selbstmitleid dem Zorn Platz. Sie hatte ihm das angetan. Katherine. Das Miststück. Sie hatte eine Hälfte getötet, ihn unvollständig und leer zurückgelassen, ihn ausgehöhlt. Dieses widerwärtige, selbstsüchtige Miststück! Und während seine Wut anschwoll, erfüllte ihn ein Drang, alles zu zerschlagen. Nackt stürmte er durch den Bungalow – durch Wohnzimmer, Küche, Badezimmer –, zerschlug Möbel, riß Polster auseinander, zerschmetterte Geschirr, verfluchte seine Mutter, verfluchte seinen Dämonenvater, verfluchte eine Welt, die er manchmal überhaupt nicht begreifen konnte.
In Joshua Rhineharts Küche schrubbte Hilary drei große Folienkartoffeln und legte sie sich auf der Arbeitstheke zurecht, um sie gleich in den Mikrowellenherd schieben zu können, sobald die dicken Steaks auf dem Rost sich der Vollendung näherten. Die körperliche Tätigkeit entspannte sie. Sie schaute beim Arbeiten auf ihre Hände und beschäftigte sich nur mit der Vorbereitung der Mahlzeit, so daß ihre Sorgen in ihr Unterbewußtsein zurückgedrängt wurden. Tony hantierte mit dem Salat herum. Er stand mit hochgekrempelten Ärmeln neben ihr an der Spüle und putzte Gemüse.
Während sie das Abendessen zubereiteten, rief Joshua von seinem Küchentelefon aus den Sheriff an. Er berichtete Laurenski von dem Geld, das von Fryes Konten in San Franzisko verschwunden war und von dem Doppelgänger, der jetzt irgendwo in Los Angeles Hilary suchte. Außerdem weihte er ihn bezüglich der Massenmordtheorie ein, die er, Tony und Hilary vor kurzem in seinem Büro entwickelten. Für Laurenski gab es im Augenblick nicht viel zu tun, denn in seinem Zuständigkeitsbereich waren (soweit bekannt) wohl keine Straftaten begangen worden. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit gab es im näheren Umkreis Straftaten, mit denen Frye zu tun hatte, die sie nur im Augenblick noch nicht kannten. Und darüber hinaus schien die Möglichkeit groß, daß im Bezirk weitere Verbrechen verübt würden, ehe das Geheimnis des Doppelgängers gelöst werden könnte. Aus diesem Grund und zur Aufmunterung, nachdem Laurenskis Ruf etwas darunter gelitten hatte, daß er sich letzten Mittwoch für Frye verwendet hatte, wollte Joshua – und dieser Meinung schloß Hilary sich an – den Sheriff über den neuesten Wissensstand informieren. Obwohl Hilary nur die Hälfte des Telefongesprächs hörte, konnte sie doch spüren, daß Peter Laurenski von den Neuigkeiten fasziniert schien, und Joshuas Antworten entnehmen, daß der Sheriff zweimal vorschlug, Fryes Leiche zu exhumieren, um festzustellen, ob es sich tatsächlich um Bruno Frye handelte. Joshua wollte lieber erst das Gespräch mit Dr. Rudge und Rita Yancy abwarten, versicherte Laurenski aber, daß jene Maßnahme sofort veranlaßt würde, falls Rudge und Yancy ihm nicht sämtliche noch offenen Fragen beantworten könnten.
Joshua legte auf und betrachtete sich Tonys Salat näher, fragte sich, ob die Salatblätter genügend knackig seien, zerbrach sich den Kopf, ob der Rettich zu scharf oder vielleicht nicht scharf genug sei, prüfte die bruzzelnden Steaks, als suche er Unregelmäßigkeiten in drei
Weitere Kostenlose Bücher