Flüstern in der Nacht
Frye zu tun. Heute nacht begriff ich, daß er und ich vieles gemeinsam haben. Es scheint, als mußte er von Katherine ähnliches erdulden, wie ich von Earl und Emma. Er ist daran zerbrochen, ich nicht. Dieser große, starke Mann ist zerbrochen, aber ich habe durchgehalten. Das bedeutet mir etwas. Eine ganze Menge sogar. Das sagt mir, daß ich mir keine so großen Sorgen machen und keine Angst haben sollte, mich den Menschen zu öffnen, daß ich so ziemlich alles ertragen kann, was die Welt mir in den Weg wirft.« »Das habe ich dir gleich gesagt. Du bist stark, zäh und hart wie Eisen«, meinte Tony.
»Ich bin nicht hart. Faß mich doch an. Fühle ich mich hart an?«
»Hier nicht«, sagte er. »Und da?« »Fest«, meinte er. »Fest ist nicht dasselbe wie hart.« »Du fühlst dich gut an.« »Gut ist auch nicht dasselbe wie hart.« »Gut und fest und warm«, erklärte er.
Sie drückte ihn.
»Das ist hart«, meinte sie und grinste.
»Aber es fällt gar nicht schwer, es wieder weichzumachen. Soll ich's dir zeigen?« »Ja«, sagte sie. »Ja. Zeig' es mir.«
Sie liebten sich wieder. Die Wellen der Lust schlugen über ihr zusammen und sie wußte, daß alles gut sein würde. Der Akt der Liebe beruhigte sie, erfüllte sie mit ungeheurem Vertrauen in die Zukunft. Bruno Frye war nicht aus dem Grab zurückgekommen, stellte keine wandelnde Leiche dar, die sie verfolgte. Es gab eine logische Erklärung dafür. Morgen würden sie mit Dr. Rudge und Rita Yancy sprechen und erfahren, was hinter dem Geheimnis um Fryes Doppelgänger steckte. Sie würden genügend erfahren, um der Polizei alles zu erklären. Man würde den Doppelgänger finden und ihn verhaften. Die Gefahr ginge vorüber. Danach würde sie immer mit Tony Zusammensein und Tony mit ihr, nichts wirklich Schlimmes könnte mehr passieren. Nichts könnte ihr mehr wehtun. Weder Bruno Frye noch sonst jemand könnte ihr wehtun. Endlich wäre sie glücklich und in Sicherheit.
Später, am Rand des Schlafes dahindämmernd, erfüllte ein Donnerschlag die Luft, rollte die Berge hinunter ins Tal und über das Haus hinweg.
Ein seltsamer Gedanke fuhr wie ein Blitz durch ihr Bewußtsein: Der Donner ist eine Warnung. Ein Omen. Erfordert mich auf, vorsichtig, meiner selbst nicht so verdammt sicher zu sein. Aber ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, versank sie in Schlaf.
Frye fuhr von Los Angeles nach Norden, raste zuerst am Meer entlang und folgte dann dem Freeway ins Landesinnere. Kalifornien hatte gerade eine der periodischen Benzinknappheiten hinter sich gebracht. Die Tankstellen waren offen, und es gab wieder Treibstoff. Der Freeway bildete eine Betonarterie im Fleisch des Landes. Die beiden Skalpelle seiner Scheinwerfer schnitten es vor ihm auf.
Er dachte an Katherine. Das Miststück! Was macht sie in St. Helena? Wohnt sie wieder im Haus auf der Klippe? Und wenn ja, hatte sie auch die Kontrolle über das Weingut wieder an sich gerissen? Würde sie ihn wieder dazu zwingen, bei ihr einzuziehen? Würde er bei ihr wohnen und ihr wieder wie früher gehorchen müssen? All die Fragen schienen für ihn von entscheidender Wichtigkeit, obwohl die meisten davon überhaupt keinen Sinn ergaben und sich auch nicht vernünftig beantworten ließen.
Er spürte deutlich, daß sein Verstand nicht richtig funktionierte. Er konnte nicht klar denken, sosehr er sich auch bemühte; das machte ihm angst.
Er fragte sich, ob er am nächsten Rastplatz herausfahren und etwas schlafen sollte. Nach dem Aufwachen würde er sich vielleicht besser im Griff haben.
Aber dann erinnerte er sich daran, daß Hilary-Katherine sich bereits in St. Helena aufhielt, und die Möglichkeit, daß sie vielleicht in seinem eigenen Haus eine Falle für ihn bereitstellte, beunruhigte ihn mehr als die augenblickliche Unfähigkeit, seine Gedanken in Ordnung bringen zu können. Kurze Zeit überlegte er, ob das Haus überhaupt noch ihm gehörte. Schließlich war er tot. (Oder halb tot.) Und sie hatten ihn begraben. (Oder dachten wenigstens, sie hätten ihn begraben.) Am Ende würde der Nachlaß aufgelöst sein. Während Bruno darüber nachdachte, wieviel er verloren hatte, wuchs sein Groll auf Katherine, die ihm so viel weggenommen und so wenig gelassen hatte. Sie hatte ihn getötet, hatte ihn sich weggenommen, hatte ihn alleingelassen, so daß er sich nicht mehr berühren und nicht mehr mit sich reden konnte. Und jetzt verweilte sie sogar in seinem Haus.
Er drückte das Gaspedal nieder, bis der Tachometer
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