Flüstern in der Nacht
geworfen.«
Joshua wollte die alte Frau am liebsten an der Gurgel packen, aus dem Sessel in die Höhe zerren und aus ihrer Selbstgefälligkeit her ausreißen. Statt dessen wandte er sich ab, atmete tief durch, begann wieder auf dem geblümten Läufer hin- und herzuwandern und starrte zu Boden.
»Und was ist mit Katherine?« fragte Hilary Rita Yancy. »Was hätten Sie getan, wenn sie gestorben wäre?«
»Dasselbe wie mit den Zwillingen«, erwiderte Mrs. Yancy kühl. »Nur hätten wir Katherine natürlich nicht in einen Koffer zwängen können.«
Joshua blieb am Ende des Läufers stehen und starrte die Frau völlig perplex an. Sie versuchte nicht etwa, komisch zu sein; sie hatte den schwarzen Humor, der aus ihren Worten klang, gar nicht bemerkt; stellte lediglich eine Tatsache fest. »Wäre irgend etwas schiefgegangen, so hätten wir die Leiche beseitigt«, meinte Mrs. Yancy. »Und wir hätten das so hingekriegt, daß niemand erfahren hätte, daß Katherine je bei mir war. Jetzt schauen Sie mich nicht so schockiert und mißbilligend an, junge Frau. Ich bin keine Killerin. Wir reden davon, was ich getan hätte – was jeder vernünftige Mensch in meiner Situation täte –, falls sie oder die Babys eines natürlichen Todes gestorben wären. Eines natürlichen Todes. Herrgott, wäre ich eine Killerin, hätte ich die arme Katherine beiseitegeschafft, als sie zu toben anfing, und ich nicht wußte, ob sie je wieder zu klarem Verstand kommen würde. Da stellte sie eine echte Gefahr für mich dar. Ich wußte nicht, ob sie mich mein Haus, mein Geschäft, alles, was ich besaß, kosten würde. Aber ich hab sie nicht erwürgt, wissen Sie? Meine Güte, ein solcher Gedanke kam mir nie in den Sinn! Ich habe das arme Mädchen bei all ihren Anfällen gepflegt. Ich hab' sie so lang versorgt, bis sie wieder aus ihrer Hysterie herausfand; und danach schien alles in Ordnung.« »Sie sagten, Katherine hätte getobt, um sich geschlagen und wirres Zeug geredet«, meinte Tony. »Das klingt, als –« »Nur drei Tage«, unterbrach ihn Mrs. Yancy. »Wir mußten sie sogar ans Bett fesseln, um zu verhindern, daß sie sich wehtat. Aber sie war nur drei Tage krank. Vielleicht handelte es sich gar nicht um einen Nervenzusammenbruch, vielleicht nur um eine Art kurzfristigen Zusammenbruch. Denn nach drei Tagen sah sie wieder aus wie zuvor.«
»Die Zwillinge«, erinnerte Joshua. »Kommen wir wieder zu den Zwillingen. Das ist es ja, was uns eigentlich interessiert.«
»Ich denke, ich habe Ihnen so ziemlich alles erzählt«, meinte Mrs. Yancy.
»Waren es eineiige Zwillinge?« fragte Joshua. »Wie kann man das so kurz nach der Geburt sagen? Da sind sie alle runzelig und rot.«
»Hätte der Doktor denn nicht einen Test durchführen –« »Wir befanden uns in einem Erste-Klasse-Bordell, Mr. Rhinehart, nicht im Krankenhaus.« Sie stupste die weiße Katze an, worauf diese verspielt mit der Pfote nach ihr schlug. »Der Arzt hatte weder Zeit noch Einrichtungen für das, was Sie meinen. Außerdem, warum hätte es uns interessieren sollen, ob es sich um eineiige Zwillinge handelte oder nicht?«
»Katherine hat einen der Jungen Bruno genannt«, warf Hilary ein.
»Ja«, antwortete Mrs. Yancy. »Das hab' ich erfahren, als er nach Katherines Tod anfing, mir Schecks zu schicken.« »Und wie hat sie den anderen Jungen genannt?« »Keine Ahnung. Als sie mein Haus verließ, hatte sie keinem von beiden einen Namen gegeben.«
»Aber standen ihre Namen denn nicht auf den Geburtsurkunden?« wollte Tony wissen.
»Geburtsurkunden gab es keine«, erklärte Mrs. Yancy. »Wie ist das denn möglich?« »Die Geburten wurden nicht angezeigt.« »Aber das Gesetz ...?«
»Katherine bestand darauf, die Geburten nicht anzuzeigen. Sie zahlte gutes Geld für das, was sie haben wollte, und wir sorgten dafür, daß sie es auch bekam.« »Und der Arzt hat mitgemacht?« fragte Tony. »Er bekam einen Tausender dafür, daß er Geburtshilfe leistete und dann den Mund hielt«, bemerkte die alte Frau. »Tausend Dollar hatten damals wesentlich mehr Wert als heute. Er ist gut dafür bezahlt worden, ein paar Vorschriften zu mißachten.« »Waren beide Babys gesund?« fragte Joshua. »Sehr dünn sahen sie aus«, erklärte Mrs. Yancy. »Schrecklich mager. Zwei jämmerliche kleine Würmer. Wahrscheinlich deshalb, weil Katherine monatelang gehungert hatte. Und aufgrund der Korsetts. Aber sie konnten genauso kräftig schreien wie andere Babys. Und an Appetit hat es ihnen auch nicht gefehlt.
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